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Viertes Capitel. Front und Querschiff der Certosa.

kräftig ausgebildeten Theilungsgesimsen. Dies vor allem unterscheidet diese Front von
dem Fagadentypus der Carmine-Kirche in Pavia und etwa des Domes von Monza. Mit
dem Hinweis auf diese Bauten ist aber auch schon ein Anhalt..dafür gegeben, dafs die in
diesem Modell dargcstcllte Front nicht die 1396 geplante sein kann, denn von dem noch
mittelalterlichen Gepräge dieser Werke sagt sie sich sowohl durch ihre Gesamterscheinung,
wie besonders durch die decorativcn Details bereits vollständig los. Der Spitzbogen findet
sich nirgends; die Mittelschifffenster werden durch Candelabersäulen getheilt, die hier und
oben an der Laterne des Tiburiums eine ähnliche Form haben wie etwa an den Fenstern
der Mailänder Portinari-Capelle. Auch die Rose und die Fialenthürmchcn auf den Strebe-
pfeilern scheinen schon ungothisch detaillirt, und das Hauptportal ist von einer offenbar
ganz renaissancemäfsig gezeichneten freien Bekrönung überragt. — Stilkritisch ist der hier

wiedergegebene Frontentwurf also frühe-
stens etwa in das letzte Jahrzehnt der
Amtsperiode Solaris zu verlegen, als
schon die reine Renaissance mafsgebend
geworden war: keinesfalls vor 1470.
In der ersten Hälfte der siebziger
Jahre ging man in der That ernsthaft an
die Ausführung der Front: am 7. October
1473 werden Cristoforo und Antonio
Mantegazza, die Galcazza Maria Sforza
im Frühjahr den Karthäusern hierfür em-
pfohlen hatte, verpflichtet: „fare totam
fazatam . . . ac portam cum finestris et
aliis laboribus necessariis “, und zwei
Jahre darauf, am 20. August 1475, wird
ihnen dann Omodeo J unter Bedingungen
beigesellt, die schon an sich beweisen,
dafs damals bereits ein festes Programm
für die Frontdecoration vorlag: ihm fällt
der „links vom Hauptportal“ auszu-
führende Theil der Sculpturen zu. Einen
weiteren Beleg für die Inangriffnahme
der Arbeiten selbst bietet die Notiz, dafs unter den 1478 abgeschätzten Lieferungen dieser drei
Meister sich auch „una cornice di marmo morello per la facciata“ befand. — Mit diesen
Thatsachen steht allerdings die bündige Angabe des Karthäuserpriors Matteo Valerio, die
Fagade sei erst 1491 „da terra“, von Grund auf,1 2) begonnen worden, in Widerspruch. Valerio
nennt aber folgerichtig auch nicht mehr Solari als Schöpfer dieser Front, sondern Jacopo
Antonio Dolcebuono und Ambrogio Fossano (Bergognone), es handelt sich also offen-
bar um eine vielleicht tief eingreifende Umänderung jenes früheren Entwurfes, welche wahr-
scheinlich erst durch den Wechsel der Bauleitung nach dem Tode Solaris (1481) erfolgte.
Dessen Erbe wurde an der Certosa sein Schwiegersohn Omodeo, der dann, vollends nach

Abb. 79.
Modell der Certosa-Front auf dem Fresco Bergognones


1) Am 13. September 1479 erhält Omodeo als Entgelt für seine Arbeiten eine Pacht bei Binasco
und am 7. Februar 1482 Giovanni Mantegazza Honorar für seinen verstorbenen Bruder Cristoforo. —
Unter den zahlreichen Meistern, die hier in den Acten ohne speciellere Angabe ihrer Werke genannt
werden, finden sich auch, abgesehen von den Mantegazza und Omodeo, mehrere wohlbekannte Namen,
so vor allem als Mitarbeiter Omodeos: Benedetto Briosco, Antonio della Porta und Stefano
da Sesto, aber auch der feinsten Stilkritik wird es nur ausnahmsweise glücken, ihren Antheil im ein-
zelnen sicher herauszufinden, ebenso wenig, wie es bisher möglich ist, den Stil der beiden Brüder
Mantegazza, Cristoforo und Antonio, kritisch greifbar zu unterscheiden. Ist doch selbst der An-
theil der Mantegazza und Omodeos keineswegs sicher abzugrenzen, obgleich man dabei wenigstens
den allgemeinen Anhalt besitzt, dafs die Mantegazza die rechts vom Portal, Omodeo und seine Ge-
hülfen die links von ihm befindlichen Sculpturen übernahmen.
2) Beltrami nimmt an, man habe damals die bereits begonnene Frontdecoration zu Gunsten
eines neuen, reicheren Planes wieder entfernt (S. 80).
 
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