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Achtes Capitel.

S. Lorenzo in Lugano. Madonna di Tirano.

S. Lorenzo in Lugano.

„Experimentum fallax, judicium difficile.“


enseits des Gotthard begrüfst den nordischen Wanderer in Lugano das erste
berückende Bild echt italienischer Landschaft und das erste Denkmal reiner
italienischer Renaissancekunst. Beide darf er an gleicher Stätte geniefsen, denn
keinen schöneren Blick auf den Ort, den See und den Kranz seiner Berge

gewährt die unmittelbare Umgebung Luganos, als von der Plattform vor der Kirche

S. Lorenzo aus. Hoch thront dieser Bau über der Stadt, und diese Lage selbst hätte

den Architekten veranlassen können, seinem Werk als weithin sichtbare Bekrönung der
Bergkuppe eine reiche Silhouette zu geben. Allein dieser Reiz fehlt dem heutigen Bau
gänzlich: die Fagade ist eine schlicht geradlinig abgeschlossene Wand geblieben. Das
widerspricht freilich dem ursprünglichen Plan. Empfindlicher noch, als ihre stolze Schwester-
schöpfung bei Pavia, die Fagade der Certosa, offenbart auch diese Front sofort, dafs sie
in ihrem Obergeschofs Einbufse erlitt, und dafür kann der sichtlich erst nach Vollendung
des Haupttheiles erfolgte Zusatz, die aus der Spätrenaissance stammende Decoration des
Rosenfensters, am wenigsten entschädigen. Die ursprünglich geplante Bekrönung der Front
läfst sich jedoch — wie noch zu zeigen ist — mit Hülfe der Certosa und von S. Maurizio
in Mailand leicht ergänzen, und selbst in ihrer gegenwärtigen Gestalt ist diese Fagade
von hohem kunstgeschichtlichen Werth. Diesen darf sie schon allgemeingültig als eine
der wenigen Kirchenfronten beanspruchen, die in der Frührenaissance überhaupt zur
Ausführung gelangt sind. Das lernt auch der Laie bei der Fortsetzung der Fahrt gen
Süden um so mehr schätzen, je häufiger ihm bei den Renaissancekirchen statt der
schmucken Marmorpracht dieser Fagade eine Backstein-Rohbaumauer entgegentritt. Dem
Kunsthistoriker aber und besonders dem Specialforscher, der das Stilbild der lombardischen
Renaissance, vor allem ihrer Plastik, in seiner Eigenart und seinen Wechselwirkungen zu
erkennen sucht, bietet sie Arbeitsstoff in Fülle. Es war daher ein glücklicher Griff, dafs
die hier schon so oft gerühmten Studien Rudolf Rahns bei dieser noch auf Schweizer
Boden befindlichen Kirchenfront einsetzten. Seiner stilkritischen Vorarbeit sei auch hier

dankend gedacht, wenn auch die im folgenden zusammengefafsten Ergebnisse von den
seinen in manchen Punkten abweichen.1)
Rahn hat auch die Baugeschichte der Kirche bisher am eingehendsten erörtert,
doch harren noch einige Punkte der Aufklärung. Schon 875 wird S. Lorenzo erwähnt.

1) a. a. O., ital. Ausgabe von Pometta,
Orazioni sacre e dissertazioni storiche -polemiche.
Svizzera Italiana. Lugano 1840, II. S. 247.
Meyer, Oberitalienische Frührenaissance, II.

S. 183 ff. Die älteren Ansichten bei Torricelli,
Lugano 1837, V. S. 33 — 54, und Franscini, La
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