Frontmodelle.
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dem Hinscheidcn des Cristoforo Mantegazza (1482), zunächst bis 1499 zweifellos die über
alle künstlerischen Fragen entscheidende Persönlichkeit wurde: — ,,chi commandava“, wie es
in einer späteren Urkunde von ihm heifst. Seine Hauptaufgabe war die Kirchenfront, und
in der That berichtet Valerio auch von einem 1492 *) ausgeführten Fagadenmodell Omodeos
selbst. Omodeo war mit Dolcebuono befreundet und zog ihn bei dieser wichtigen Bau-
aufgabe wohl zu Rathe. Möglich allerdings auch, dafs Dolcebuono ein eigenes Modell
schuf, und ebenso Bergognone, denn in den achtziger und neunziger Jahren sind sicher-
lich, wie stets in solchen Fällen, von mehreren Seiten Vorschläge für die Gestaltung der
Front eingeholt und in Skizzen und Modellen niedergelegt worden.
Auf diese gehen einige Darstellungen der Certosa-Front in Reliefs und Bildern des
endenden Quattrocento zurück, die von der heutigen Fagade und unter einander abweichen
und dahei- als Vorstufen der letzteren wohl Beachtung erheischen, die jedoch in ihrer Be-
deutung für unsere Zwecke nicht überschätzt werden dürfen und keineswegs so zuverlässig
sind, dafs man sichere stilkritische Schlüsse aus ihnen ziehen kann.1 2 3)
Am genauesten scheint die Wiedergabe des Kirchenmodelles noch auf Brioscos
Relief der Grundsteinlegung am Grabdenkmal des Gian Galeazzo Visconti. Hier
zeigt die Front im Hauptgeschofs schon die heutigen vier rechteckigen Fenster, den Flori-
zontalabschlufs und darüber auch die untere Zwerggalcrie nebst der Rose, wie die Skizze
Bergognones und die jetzige Fagade, unterscheidet sich von beiden jedoch vor allem da-
durch, dafs sie die doppelte Abstufung der Seitenschiffe unterdrückt. Denn hier ragt nur
vor dem Hauptschiff eine hohe, von Strebepfeilern flankirte, mit einer Lünette bekrönte
Wand auf, und nur vor die Seitenschiffe legen sich zwei jenen Mitteltheil flankirende Vo-
luten: die äufseren Capellenreihen behalten ein horizontales Gesims. Sowohl der Stil-
charakter, wie die Zeit der Ausführung des Reliefs selbst (1495 bis 1496)s) machen am
wahrscheinlichsten, dafs dieses Modell den vielleicht unter Theilnahme Dolcebuonos ent-
standenen Entwurf Omodeos von 1492 wiedergiebt. Während in dem Fresco Bergog-
nones nur der doppelte ziemlich genau detaillirte4) Sockel auf einen Anschlufs an bereits
in Arbeit befindliche Theile schliefsen läfst, zeigt dieses Sarkophagrelief auch das wenigstens
in den Grundlinien richtige Hauptgeschofs mit den vier Fenstern, so wie es uns heut ent-
gegentritt, wie es also wohl schon damals in Angriff genommen war.
Dagegen hat dann Brio sc o selbst bei seiner späteren Reliefdarstellung für das
Hauptportal in jener auch am Visconti-Monument geschilderten Scene der „Grundstein-
legung“ ein ganz anderes Frontmodell wiedergegeben (Abb. 91). Dort bleibt die untere Haupt-
wand fensterlos. Nur das erste Geschofs enthält für die Seitenschiffe zwei getheilte Rund-
bogenfenster. Dabei sind die beiden Stockwerke abgestuft, wie auf dem Modell in Bergognones
Fresco, nur dafs die dortigen starren Giebellinien hier durch die üblichen Concavbögen
und in der Mitte natürlich durch eine Lünette ersetzt sind. Keine Zwerggalerien, keine
Fialenkrönungen! Dafs diese Reliefdarstellung nicht ganz genau gearbeitet ist, ergiebt sich
schon aus dem gleichmäfsigen Intervall der Strebepfeiler, die in Wirklichkeit vor dem
Mittelschiff einen doppelten Abstand haben müfsten. Auch waren zur Entstehungszeit
dieses Bildwerks die Fenster im Erdgeschofs bereits ihrer Vollendung nahe, und ihr Fehlen
auf diesem Modell ist wohl nur durch die Kleinheit des Mafsstabes zu erklären. Möglicher-
weise fehlten sie aber auch an dem Originalmodell, und dessen Zweck war kein anderer,
als die Lösung der oberen Theile, oberhalb des bereits fast fertigen Hauptgeschosses,
zu erläutern.
1) An anderer Stelle sagt er 1496. Das Modell war in Thon hergestellt und brachte Omodeo
das sehr beträchtliche Honorar von 200 Lire imperiali.
2) Magenta (vergl. a. a. O. S. 174, Abb. S. 391) will auch das im Hintergrund auf Bergognones
Altarbild der „Beweinung Christi“ in der Cappella del Crocifisso der Certosa 1490 wiedergegebene Bau-
werk mit der Certosa identificiren.
3) Magenta, S. 174.
4) Man beachte besonders die Vertheilung der Figurennischen in den Strebepfeilern.
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dem Hinscheidcn des Cristoforo Mantegazza (1482), zunächst bis 1499 zweifellos die über
alle künstlerischen Fragen entscheidende Persönlichkeit wurde: — ,,chi commandava“, wie es
in einer späteren Urkunde von ihm heifst. Seine Hauptaufgabe war die Kirchenfront, und
in der That berichtet Valerio auch von einem 1492 *) ausgeführten Fagadenmodell Omodeos
selbst. Omodeo war mit Dolcebuono befreundet und zog ihn bei dieser wichtigen Bau-
aufgabe wohl zu Rathe. Möglich allerdings auch, dafs Dolcebuono ein eigenes Modell
schuf, und ebenso Bergognone, denn in den achtziger und neunziger Jahren sind sicher-
lich, wie stets in solchen Fällen, von mehreren Seiten Vorschläge für die Gestaltung der
Front eingeholt und in Skizzen und Modellen niedergelegt worden.
Auf diese gehen einige Darstellungen der Certosa-Front in Reliefs und Bildern des
endenden Quattrocento zurück, die von der heutigen Fagade und unter einander abweichen
und dahei- als Vorstufen der letzteren wohl Beachtung erheischen, die jedoch in ihrer Be-
deutung für unsere Zwecke nicht überschätzt werden dürfen und keineswegs so zuverlässig
sind, dafs man sichere stilkritische Schlüsse aus ihnen ziehen kann.1 2 3)
Am genauesten scheint die Wiedergabe des Kirchenmodelles noch auf Brioscos
Relief der Grundsteinlegung am Grabdenkmal des Gian Galeazzo Visconti. Hier
zeigt die Front im Hauptgeschofs schon die heutigen vier rechteckigen Fenster, den Flori-
zontalabschlufs und darüber auch die untere Zwerggalcrie nebst der Rose, wie die Skizze
Bergognones und die jetzige Fagade, unterscheidet sich von beiden jedoch vor allem da-
durch, dafs sie die doppelte Abstufung der Seitenschiffe unterdrückt. Denn hier ragt nur
vor dem Hauptschiff eine hohe, von Strebepfeilern flankirte, mit einer Lünette bekrönte
Wand auf, und nur vor die Seitenschiffe legen sich zwei jenen Mitteltheil flankirende Vo-
luten: die äufseren Capellenreihen behalten ein horizontales Gesims. Sowohl der Stil-
charakter, wie die Zeit der Ausführung des Reliefs selbst (1495 bis 1496)s) machen am
wahrscheinlichsten, dafs dieses Modell den vielleicht unter Theilnahme Dolcebuonos ent-
standenen Entwurf Omodeos von 1492 wiedergiebt. Während in dem Fresco Bergog-
nones nur der doppelte ziemlich genau detaillirte4) Sockel auf einen Anschlufs an bereits
in Arbeit befindliche Theile schliefsen läfst, zeigt dieses Sarkophagrelief auch das wenigstens
in den Grundlinien richtige Hauptgeschofs mit den vier Fenstern, so wie es uns heut ent-
gegentritt, wie es also wohl schon damals in Angriff genommen war.
Dagegen hat dann Brio sc o selbst bei seiner späteren Reliefdarstellung für das
Hauptportal in jener auch am Visconti-Monument geschilderten Scene der „Grundstein-
legung“ ein ganz anderes Frontmodell wiedergegeben (Abb. 91). Dort bleibt die untere Haupt-
wand fensterlos. Nur das erste Geschofs enthält für die Seitenschiffe zwei getheilte Rund-
bogenfenster. Dabei sind die beiden Stockwerke abgestuft, wie auf dem Modell in Bergognones
Fresco, nur dafs die dortigen starren Giebellinien hier durch die üblichen Concavbögen
und in der Mitte natürlich durch eine Lünette ersetzt sind. Keine Zwerggalerien, keine
Fialenkrönungen! Dafs diese Reliefdarstellung nicht ganz genau gearbeitet ist, ergiebt sich
schon aus dem gleichmäfsigen Intervall der Strebepfeiler, die in Wirklichkeit vor dem
Mittelschiff einen doppelten Abstand haben müfsten. Auch waren zur Entstehungszeit
dieses Bildwerks die Fenster im Erdgeschofs bereits ihrer Vollendung nahe, und ihr Fehlen
auf diesem Modell ist wohl nur durch die Kleinheit des Mafsstabes zu erklären. Möglicher-
weise fehlten sie aber auch an dem Originalmodell, und dessen Zweck war kein anderer,
als die Lösung der oberen Theile, oberhalb des bereits fast fertigen Hauptgeschosses,
zu erläutern.
1) An anderer Stelle sagt er 1496. Das Modell war in Thon hergestellt und brachte Omodeo
das sehr beträchtliche Honorar von 200 Lire imperiali.
2) Magenta (vergl. a. a. O. S. 174, Abb. S. 391) will auch das im Hintergrund auf Bergognones
Altarbild der „Beweinung Christi“ in der Cappella del Crocifisso der Certosa 1490 wiedergegebene Bau-
werk mit der Certosa identificiren.
3) Magenta, S. 174.
4) Man beachte besonders die Vertheilung der Figurennischen in den Strebepfeilern.