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Gesamtcharakter der nationalen Baukunst. 263
ihrer „Aufnahme centralistischer Motive“ vollendete Muster. Zweifellos war hier auch das
Backsteinmaterial förderlich, indem es an kühne Wölbungen über mächtigen Pfeilern
gewöhnte.
Die Eigenart dieser oberitalienischen Centralbauten neben anderen Entwicke-
lungsformen des Typus zeigt sich im Inneren in der Gliederung, im Aeufseren in der
Bedachung.
Jene schafft dem Raum mit der Weite zugleich ein reizvolles Lichtspiel. An die
kuppelgekrönte Vierung als Dominante schliefsen sich in geringerer Höhe symmetrisch ver-
theilte Nebenräume, die Kreuzarme, Capellen, Seitennischen; rings öffnen sich Durchblicke
in lebendigem Wechsel von Schatten und Licht, wie er auch in der Gliederung der Mauer-
flächen selbst durch Seitenfenster, durch Emporen- oder Nischengalerien bis zu den Oeff-
nungen im Tambour und in der Kuppellaterne in harmonischer Abstufung erzeugt wird.
Das ist ein „malerischer“ Reiz des Raumgebildes selbst, noch unabhängig von jeglichem
Schmuck, den Malerei, Incrustation und Steinmetzarbeit ihm schafft. Aber es ist nicht erst
eine Schöpfung des Stile Bramantesco! Wiederum ist in solchem Zusammenhang auf
S. Lorenzo zu verweisen, das hierfür die kräftigsten Keime enthielt. Die Sonne mittel-
italienischer Kunst hat sie nur zu voller Reife gebracht. Ist doch auch die Verwerthung
der Arcaden oberhalb der Tragebögen, hoch an der Wand, als emporenartiger Gang, eine
Erbschaft aus der lombardisch-romanischen Baukunst, deren ästhetischen Werth sowohl
die Zwerggalerien des Aeufseren, wie mittelbar auch die gröfseren Arcaden der Langhaus-
emporen schätzen lehrten! Griff man doch beispielsweise bei der Vierungskuppel der
Certosa noch auf die am Dom von Piacenza vorgebildete Lösung zurück! Auch sei nicht
vergessen, dafs sich in die Reihe dieser Ccntralbauten hergebrachten Schemas ein ganz
fremdartiger Sendling einschiebt: der „Centrifugalbau“ der Miracoli-Kirche in Brescia, jener
Innenraum, der die „malerischen“ Elemente der Centralanlagen auf Kosten der Ueber-
sichtlichkeit eines gegliederten Gruppenbaues fast phantastisch erweitert und an den vene-
zianischen von S. Marco genährten Geschmack erinnert.
Die Kuppelschalen nackt zu zeigen, wie in Venedig selbst noch an der Miracoli -
Kirche, wäre auf lombardischem Boden unerhört. Die Ueberlieferung bot vielmehr das
Gegcntheil: vollständige, thurmartige Verkleidung. So lehrten es vor allem die Prachtstücke
der Gothik, der Vierungsthurm vom Chiavavalle und — wenn auch zunächst nur in Ent-
würfen — das „tiburium“ des Mailänder Domes und der Certosa. Bei beiden nahm die
Renaissance das Motiv auf, am selbständigsten bei der Certosa. Das war das Werk des
Lombarden Solari. Bramante aber kannte Brunelleschis Riesenkuppel in Florenz, und doch
hat er bei seinen Centralkirchen Aehnliches auch nicht einmal versucht — weder er selbst
noch irgend einer der Meister, die in seinem Stile schufen! Ein flaches Zeltdach deckt seine
Kuppeln, wie bei S. Satiro und S. Maria delle Grazie, oder eine sanft geschweifte Wölbung,
wie in Busto Arsizio und am Dom von Pavia. An Stelle der emporschnellenden Kraft eine
schirmende Hülle, aber mit bewegter Richtungslinie. Auch dies eine mehr „malerische“
Anmuth, selbst wenn man die fialenartigen Thürmchen, die über den Pfeilern das Dach
umkränzen, noch ganz aufscr Acht läfst! —
Stärker noch als für den Centralbau, hatte das Mittelalter in der Lombardei für
den Langhausbau von mehr oder minder basilicaler Anlage vorgearbeitet, allein dieser
ist während der in Frage kommenden Periode fast nur in S. Celso und in S. Maurizio in
Mailand fortgebildet. Das tonnengewölbte Hauptschiff von S. Celso kann sich mit analogen
Raumschöpfungen Albertis nicht messen. Proportionen und Beleuchtung sind ungünstig.
S. Maurizio aber, das freilich unter ungewöhnlichen räumlichen und rituellen Bedingungen
entstand, hat mindestens den Vorzug der Eigenart. Es ist ein einschiffiger, in der Mitte
getheilter Betsaal. Die Gliederung seiner vollständig für die Malerei berechneten Wände —
unten Rundbogennischen, oben Emporen mit den früher beschriebenen Fenstern — schliefst
sich an Lösungen des Bramantesken Centralbaues an, bietet jedoch für einen weiteren Ge-
sichtskreis eine letzte, interessante Entwickelungsstufe von Bauelementen, die bis zu S. Am-
brogio zurückführen. Allein in S. Maurizio schliefsen diese Emporen mit einem ununter-
brochenen Gesims ab und darüber ragt — ein wichtiger Archaismus — völlig selbständig
 
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