Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Weinfurter, Stefan [Oth.]; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Stauferreich im Wandel: Ordnungsvorstellungen und Politik in der Zeit Friedrich Barbarossas — Mittelalter-Forschungen, Band 9: Stuttgart, 2002

DOI article:
Plassmann, Alheydis: Barbarossa und sein Hof beim Frieden von Venedig unter verschiedenen Wahrnehmungsperspektiven
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34723#0093

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
ALHEYDIS PLASSMANN

Barbarossa und sein Hof beim Frieden von Venedig
unter verschiedenen Wahrnehmungsperspektiven

Die von Geschichtswissenschaftlern hoch geschätzten Augenzeugen sind oft un-
zuverlässiger als diejenigen, die sich auf ihre Aussagen verlassen oder auch sie
selber wahrhaben möchten. Das liegt zunächst daran, daß alle Personen in der Er-
innerung dazu neigen, dem Gesehenen einen sinnhaften, zielgerichteten Zusam-
menhang zu unterstellen, der in dem Geschehen so nicht unbedingt vorhanden
war1. Des weiteren ist die Wahrnehmung wesentlich geprägt von dem, was die
Beobachter an Vorwissen und Einstellungen einbringen2, und zusätzlich ist die
Erinnerung nicht unbeeinflußt von Fragen, die im nachhinein vom Beobachter
selbst oder anderen an das Geschehen gestellt werden3. Besonders deutlich treten
diese Phänomene bei der sogenannten autobiographischen Verzerrung zutage:
Bei der Beschreibung der Ereignisse im großen und ganzen wird zwar eine
zufriedenstellende Genauigkeit erreicht, im Detail aber bleibt der Augenzeuge in-
akkurat, was wesentlich von der Einschätzung der eigenen Rolle bei den Ge-
schehnissen abhängig ist4. Dieses Problem der Wahrnehmungsperspektive, die
noch vor der Darstellungsabsicht die Erzählung beeinflußt und sie in Einzelheiten
ungenau sein läßt, ist natürlich auch bei mittelalterlichen Quellen zu beobachten.
Am leichtesten lassen sich Detailungenauigkeiten der Wahrnehmung bei Perso-
nen überprüfen, wie an einem Beispiel erörtert werden soll.
In Barbarossas Regierungszeit gibt es kaum einen anderen Zeitabschnitt, zu
dem uns ähnlich viele Quellen zur Verfügung stehen, wie für die wenigen Wo-
chen, in denen der Kaiser sich wegen des Friedensschlusses mit Papst Alexan-
der III. nach dem langjährigen Schisma in Venedig aufhielt5. Die Quellen bieten

1 Die beobachtende Person geht im Normalfall davon aus, daß der/die Beobachtete mit den wahr-
genommenen Handlungen Ziele verfolgt. Die Oberflächenstruktur einer Handlung bleibt daher
schlechter im Gedächtnis haften als ihre (unterstellte) Planstruktur. Siehe dazu Johannes Engel-
kamp, Das menschliche Gedächtnis. Das Erinnern von Sprache, Bildern und Handlungen, Göt-
tingen 1990, S. 322, 329 und 332.
2 Eine Situation wird wesentlich anders empfunden, wenn uns eine der Personen näher bekannt
ist; bewußt beachtete Bilder und Ereignisse werden besser wiedererkannt: Rainer Guski, Wahr-
nehmung. Eine Einführung in die Psychologie der menschlichen Informationsaufnahme (Grund-
riß der Psychologie 7), Stuttgart/Berlin/Köln 1989, S. 103. Auch emotionale oder soziale Bewer-
tungen beeinflussen Urteile über wahrnehmbare Aspekte von Objekten (und Personen), ebd.,
S. 115 ff., und Alan Baddeley, Human memory. Theory and Practice, Exeter 1990, S. 295, 304 f.,
380 und 406.
3 Zur möglichen Beeinflussung von Augenzeugen vgl. Baddeley (wie Anm. 2), S. 289 f.
4 Vgl. Baddeley (wie Anm. 2), S. 309 f.
5 Zum Friedensschluß selbst vgl. die Beiträge in diesem Band von Wolfgang Georgi, Johannes Lau-
dage und Sebastian Scholz, außerdem Johannes Laudage, Alexander III. und Friedrich Barba-
 
Annotationen