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Rogge, Jörg [Bearb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Fürstin und Fürst: Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter ; [Referate, die vom 20. bis 23. März 2002 im Rahmen eines Symposiums mit dem Titel "Fürstin und Fürst. Rollenverständnis, Handlungsspielräume und Konfliktverhalten in den Geschlechterbeziehungen des hohen und fürstlichen Adels im Mittelalter und am Beginn der Frühen Neuzeit in europäischer Perspektive" im Erbacher Hof (Mainz) vorgetragen und diskutiert worden sind] — Mittelalter-Forschungen, Band 15: Ostfildern, 2004

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Zunker, Diana,: Familie, Herrschaft, Reich: die Herforder Äbtissin Getrud II. von der Lippe
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https://doi.org/10.11588/diglit.34729#0192

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Familie, Herrschaft, Reich

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Auch die Verbindung der sächsischen Reichsstifte zum Reich blieben bestehen,
selbst wenn nur selten, wie in Frankfurt 1224, von der Einsetzung einer Äbtissin in
die Regalien zu hören ist. Denn wie die Exemtion bildete die Reichsunmittelbarkeit
ein Argument gegen Ansprüche anderer Gewalten. Ein Mitwirken in überregiona-
len politischen Auseinandersetzungen kann allerdings nur bei Adelheid IV. von
Gandersheim nachgewiesen, bei Gertrud II. von Herford vermutet werden. In bei-
den Fällen waren sie durch familiäre Bindungen oder rechtlichen Ansprüchen
direkt von den politischen Ereignissen betroffen.
Die Herforder Äbtissin Gertrud II. von der Lippe soll nach Aussage eines ihrer
Zeitgenossen, des Abtes Hermann von Corvey, »eine gelehrte Dame gewesen [sein],
die der griechischen und lateinischen Sprache mächtig gewesen sei und sogar eine
Auslegung der Evangelien verfasst habe«.110 Dies erzählt Rainer Pape in seiner 1979
erschienen Stadtgeschichte »Sancta Herfordia«. »Ihre kirchliche, wirtschaftliche,
politische und kulturelle Aktivität« habe sie »zu einer zentralen Figur des hohen
Mittelalters im östlichen Westfalen« werden lassen«.111 Gertruds kirchlichen, wirt-
schaftlichen, politischen und kulturellen Aktivitäten sind wir nachgegangen. Bleibt
noch zu klären, wie es mit den erwähnten Latein-, Griechisch- und Theologiekennt-
nissen der Äbtissin aussah. Griechischkenntnisse waren auch zum Beginn des
13. Jahrhunderts nicht sehr verbreitet, allerdings schon im 10. Jahrhundert in säch-
sischen Stiften, zum Beispiel in Gandersheim, nachweisbar.112 Sehr weit werden
diese Kenntnisse zwar nicht gegangen sein, sie korrespondieren aber mit der von
Irene Crusius stärker in den Blick genommenen Funktion der sächsischen Frauen-
stifte als Bildungs- und Ausbildungsstätten nicht nur für die Töchter des regionalen
Adels.113 Ausdrücke in Urkundentexten Gertruds lassen aufmerken und an mögli-
ches Eigendiktat denken. Ins Auge fallen Arengenformulierungen wie carentia prin-
cipis et pacis defectusni für die politische Situation des Thronstreites und ne cadant in
oblivionis obscurum que fuerint in luce.u- Die Wortwahl sticht aus den üblichen zeit-
genössischen Urkundenformulierungen heraus und findet sich weder vor noch
nach Gertruds Abbatiat wieder verwendet. Da die letztgenannte Formulierung aus
der letzten Urkunde Gertruds zum Teil dem lateinischen Requiem entstammt, spie-
gelt sie wahrscheinlich eine direkte Auseinandersetzung der Äbtissin mit ihrem

110 Rainer Pape, Sancta Herfordia. Geschichte Herfords von den Anfängen bis zur Gegenwart,
Herford 1979, S. 67.
111 Pape, Herfordia (wie Anm. 110), S. 69. Allerdings bleibt Pape die Nachweise für diese Behaup-
tungen schuldig, da ein Anmerkungsapparat fehlt. Jedoch verweisen noch neuste Arbeiten in
ihren Aussagen auf Pape als Standardwerk zur Herforder Geschichte, da eine grundlegende
wissenschaftliche Bearbeitung der Stiftsgeschichte fehlt. Siehe zu Pape Thorsten Heese, Das
»Heilige Herford« und seine Chronisten. Die geistlichen Institutionen im Spiegel der Herforder
Geschichtsschreibung, in: Schirmeister, Fromme Frauen (wie Anm. 1), S. 37-70, hier S. 66 f.
112 Goetting, Gandersheim (wie Anm. 84), S. 88 f.
113 Irene Crusius, Sanctmoniales quae se canonicas vocant. Das Kanonissenstift als Forschungs-
problem, in: Dies., Studien zum Kanonissenstift (Studien zur Germania Sacra 24; Veröffentli-
chungen des Max-Plank-Instituts für Geschichte 167), Göttingen 2001, S. 9-38. Dazu demnächst
die Bonner Dissertation von Katrinette Bordawe. In Herford erhielt der Isländer Isleif, Sohn
des Häuptlings Gizzurs des Weisen, seine Ausbildung. Erzbischof Adalbert von Hamburg-Bre-
men weihte ihn später zum ersten isländischen Bischof; Kroker, Kaiser (wie Anm. 1), S. 101 f.
114 WUB IV 72 (1217).
115 WUB III1721 (1234).
 
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