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Bihrer, Andreas; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Begegnungen zwischen dem ostfränkisch-deutschen Reich und England (850 - 1100): Kontakte, Konstellationen, Funktionalisierungen, Wirkungen — Mittelalter-Forschungen, Band 39: Ostfildern, 2012

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34755#0096

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B) 2) Akteure

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Fozz't
Zwei Aspekte standen bei der Untersuchung des Pilgerwesens im Vordergrund: Zum
einen wurde nach Pilgerzielen, Reiserouten und der Intensität von Pilgerfahrten ge-
fragt, zum anderen wurden argumentative Nutzungen des zeitgenössischen Pilgerwe-
sens analysiert. Es zeigt sich, dass die Forschung die Häufigkeit von Pilgerreisen im
Frühmittelalter sehr unterschiedlich einschätzt; wahrscheinlich ist für das 10. Jahrhun-
dert eher von einer relativ geringen Zahl auszugehen. Für angelsächsische Pilger bilde-
te Rom ein prominentes Ziel, doch führte die bei weitem am häufigsten benutzte Route
nicht durch das ostfränkisch-deutsche Reich. Bei den sehr viel selteneren Jerusalem-
Wallfahrten nahmen angelsächsische Pilger meist den Seeweg. Pilgerfahrten zu Kultor-
ten im ostfränkisch-deutschen Reich bzw. in England können ebenfalls nicht sicher
nachgewiesen werden; sie erscheinen vor 1066 nur in einigen wenigen, zudem stark
stilisierten Wunderberichten. Kontakte zwischen England und dem ostfränkisch-deut-
schen Reich aufgrund von Wallfahrten waren selten, Pilger schufen und stabilisierten
somit nur in äußerst geringem Maß Begegnungsräume.
In hagiographischen Schriften Pilger aus der jeweils anderen Region zu erwähnen,
wurde im ostfränkisch-deutschen Reich erst im späten 10. Jahrhundert und in England
erst nach 1066 interessant, also in Zeiten einer verstärkten Kultkonkurrenz und Kult-
propaganda. Dieses Auftreten ist aber als eine innertextliche Entwicklung zu werten,
die wohl nur selten mit tatsächlichen Pilgerbesuchen oder einem Aufschwung des Pil-
gerwesens in Verbindung stand. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass solche Pilger aus
England oder dem ostfränkisch-deutschen Reich die Ausnahme bildeten; ja erst durch
die Seltenheit der Besuche wurde eine Erwähnung attraktiv, um die Verbreitung des
Ruhms des eigenen Heiligen gegenüber den Konkurrenten narrativ ausgestalten zu
können. Diese Nennungen dienten somit fast immer dazu, die auch geographisch weit-
reichende Wirkkraft des jeweiligen Heiligen zu zeigen. Dabei bildete sich im 11. Jahr-
hundert noch kein fester Typus eines englischen bzw. deutschen Pilgers aus, vielmehr
wurden deren Heilungsberichte in katalogartigen Reihungen aufgeführt. So blieb es
anfangs bei der alleinigen Erwähnung des Herkunftsorts, in einigen Wunderberichten
wurde außerdem die Überwindung des Meeres herausgestellt. In Ansätzen findet sich
bei den in Tiel entstandenen Wundergeschichten der heiligen Waldburg eine argumen-
tative Nutzung gerade der Englandbezüge, aber erst Goscelin schöpfte die darstelleri-
schen Möglichkeiten aus, die sich aus den spezifischen Verbindungen nach Sachsen
und in das ostfränkisch-deutsche Reich ergaben, um die von ihm erzählte Wunderge-
schichte zu authentisieren und dem Kultort Wilton und der dort wirkenden heiligen
Edith ein größeres Gewicht zu geben.
 
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