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Gramsch, Robert; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Das Reich als Netzwerk der Fürsten: politische Strukturen unter dem Doppelkönigtum Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) 1225 - 1235 — Mittelalter-Forschungen, Band 40: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34756#0037

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36

1. Politische Verflechtungen im spätstaufischen Reich

Gültigkeit auch dadurch bekräftigt wird, dass bei mittelalterlichen Bündnisschlüssen
(zwischen zwei Akteuren A und B) häufig formelhaft bekräftigt wird, das beiderseitige
Verhältnis zu Dritten (C) gerade in der genannten balancierten Weise einrichten zu
wollen: „zimzctzs zwzz'cz's, mzmzctzs
So einfach dieser Zusammenhang erscheint, so sehr er die Interpretation historischer
Vorgänge durch Zeitgenossen und Historiker (und wohl auch ihren realen Ablauf) schon
immer bestimmt hat, so eröffnet doch erst seine explizite Formulierung Raum für neue
Erkenntnisse: „Diese Hypothese liefert uns eine Methode, die Daten zu ordnen, zu
vergleichen und zu überprüfen. Sie bietet uns eine Sprache, mit deren Begriffen wir einen
großen Bereich von Phänomenen erfassen können, die eine neue Bedeutung erhalten,
wenn sie mit diesen Begriffen beschrieben werden. "83
Ehe wir die weiteren theoretischen Implikationen des Heiderschen Konzepts be-
denken, erscheint es angebracht, dasselbe noch etwas zu verfeinern: Die Beschränkung
auf bloß zwei mögliche affektive Zustände zwischen gegebenen Akteuren - freund-
schaftlich (positiv) und feindlich (negativ) ist offenbar unzureichend. Abgesehen von der
Möglichkeit der Nz'c/ifexz'sfenz affektiver Beziehungen^ ist nämlich auch die mögliche
AzzzNuzßenz dieser Beziehungen in Rechnung zu stellen. Dieser Fall wird in der histori-
schen Interpretation häufig Vorkommen, wenn sich Quellennachrichten nicht eindeutig
in der einen oder anderen Weise interpretieren lassen, und es empfiehlt sich, hierfür
eine eigene Kategorie der tietzirzileti Bmdtztig vorzusehen. Damit ist nicht eine klassische
diplomatische Neutralität gemeint (die es im zwischenmenschlichen Verhältnis und
insbesondere wohl auch in der mittelalterlichen Politik so nicht gibt),^ sondern eben die
Unentscheidbarkeit des affektiven Zustandes, die für beide Richtungen - Freundschaft
wie Feindschaft - offen ist. 86 Auch wenn, wie noch zu zeigen ist, die neutrale und die
nichtexistente Bindung analytisch gleich zu behandeln sind, lohnt es sich, zwischen
diesen beiden Kategorien zu unterscheiden und innerhalb der Datenerhebung auch
neutrale Bindungen zu dokumentieren: Eine neutrale Bindung stellt immerhin schon
^ Vgl. hierzu die Untersuchung von GARNIER, Amicus amicis mit Beispielen ab dem 8. Jahr-
hundert. Die in den immer ausgefeilter werdenden Verträgen des 13. Jahrhunderts explizit
auftauchende Nz'clzi&fzvz'isclzHB, das Verhalten gegenüber Dritten abzustimmen (Ausnahme-
klauseln in Verträgen), birgt somit durchaus schon den Keim zu einem Bruch des Bündnisses,
da so nichtbalancierte Zustände (Typ (3) in Abb. 4) möglich werden, die kognitiven Stress
zwischen den Bündnispartnern schaffen. Zur Stabilisierung solcher unbalancierter Zustände
siehe auch unten S. 74 (Anm. 191).
83 HEiDER, Psychologie, S. 248f. Ebda., S. 249ff. diskutiert er auch (scheinbare) Ausnahmen von
dieser Regel, die teilweise auf einer tieferen Verständnisebene doch in die Balancetheorie
integriert werden können, bzw. die einen relativ kleinen Bereich „echter" Ausnahmen bilden,
welcher es aber nicht nötig macht, die Theorie aufzugeben.
84 In diesem Fall genügt es, die entsprechende Dyade nicht zu setzen und von einer unvollstän-
digen Triade zu sprechen, die wahrscheinlich die Tendenz besitzt, zu einer balancierten Triade
vervollständigt zu werden. Ein naheliegendes Beispiel ist etwa die Vermittlung eines Kontakts
zwischen zwei einander unbekannten Akteuren durch einen gemeinsamen Freund (wie etwa
im obigen Thietmar-Beispiel die Bündnisanbahnung zwischen Markgraf Liuthar und Heinrich
von Bayern durch Heinrich von Schweinfurt).
83 Vgl. OscHEMA, Freundschaft, S. 270f.
88 Ein Waffenstillstand etwa kann sowohl nach einer Kampfpause wieder in offenen Konflikt
übergehen, er schafft aber auch Raum für Verhandlungen, die vielleicht zu einer Einigung
und Friedensschluss mit Bündnisbildung (etwa in Form einer Eheverabredung) führen. Die
Quellennachricht von einem Waffenstillstand werden wir demnach als die Schaffung einer
neutralen Bindung zwischen den zuvor verfeindeten Akteuren interpretieren und meinen
damit eben diese O/Jczzizczf z'zz Az'& Rz'dzbzzzyezz, nicht etwa eine deklarierte Neutralität.
 
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