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DREI ZEICHNUNGEN
IN DRESDNER SAMMLUNGEN
von
LUDWIG BURGHARD
Bis zum Ausgange des 18. Jahrhunderts wandte sich die Liebe von Kennern
und Sammlern den Zeichnungen alter Meister mit derselben Leiden-
schaft zu wie den Gemälden und graphischen Arbeiten. Manch einer zog
sogar die ersten flüchtigen Entwürfe eines Meisters der endgültigen Aus-
führung im Gemälde oder Stich vor, weil er in der Skizze den Geist des
Künstlers ganz unmittelbar empfinden konnte, jenen Geist der Inspiration,
der auch dem leidenschaftlichsten Künstler im Laufe der Arbeit oftmals zu
erlahmen pflegt. Diese hohe Einschätzung aber der originalen Zeichnung
fing um die Wende des 18. Jahrhunderts an zu schwinden,- und den Kunst-
freunden aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutete die abgerun-
dete Komposition und der beziehungsreiche, gefühlvolle Inhalt so sehr die
Hauptsache in den Werken der bildenden Kunst, daß sie nach einem StahL
stich, der die Komposition eines Kunstwerkes klar verständlich wiedergab,
ein lebhafteres Verlangen trugen, als nach den originalen Skizzen der Künstler
selber, die ihnen in der ungeordneten Fülle nur verwirrend vorkamen, und die
ihnen darum fast unverständlich blieben. Diese Gleichgültigkeit der Skizze
gegenüber läßt sich z. B. deutlich aus dem Umstand entnehmen, daß die
Zeichnungssammlungen, wie sie uns jetzt zur Verfügung stehen, ihre Reich-
tümer viel mehr dem Sammeleifer des 18. als dem des 19. Jahrhunderts
verdanken. Als sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der Kunst-
geschmack wieder änderte, und ein besseres Verständnis für den Vorgang
des künstlerischen Schaffens sich entwickelte, da kehrte sich das Studium
auch wieder der Skizze zu, weil diese für die Erklärung des künstlerischen
Prozesses die tiefsten Aufschlüsse zu geben vermag. Die Kenner gingen mit
Eifer daran, die alten Bestände an Zeichnungen zu durchmustern, Kopien
von Originalen zu sondern, die einzelnen Entwürfe, die ein Künstler ge-
schaffen hatte, bis ihm seine Komposition endgültig feststand, sorgfältig
zu sammeln und zu vergleichen,- man ruhte nicht eher, bis man in getreuen
Nachbildungen die weitverstreuten Zeichnungen der großen Meister mög-
lichst wieder vereinigt hatte und somit für die psychologische Wißbegier einen
zuverlässigen Einblick in den wunderbarsten aller geistigen Vorgänge ge-
wonnen hatte, in die Entstehung eines Meisterwerkes der Kunst. Dank
diesen Bestrebungen können wir heutzutage in den umfangreichen Publika-
tionen der Zeichnungen eines Rembrandt, Michelangelo, Dürer häufig ein
und dasselbe Werk von der ersten flüchtigen Notiz bis zu der abschließenden
Vorlage für das fertige Werk nachempfindend verfolgen und damit den

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