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DREI ZEICHNUNGEN IN DRESDNER SAMMLUNGEN

an Schönheit und belebtem Reichtum übertrifft, was vordem in der Dar-
Stellung vegetativen Lebens vom Künstler je geleistet worden ist, und der
erst zu Anfang des 18. Jahrhunderts in den Bäumen Watteaus eine würdige
Fortsetzung fand. Denn ebenso wie Watteau seine leichte blühende Farbe
und die heiteren Figuren seiner Liebesgärten dem unmittelbaren Studium
des Rubens verdankt, so knüpft er auch in den Bäumen seiner Gärten und
Parke an den großen Meister an. Fast ist der Abstand zwischen Watteau
und seinen Zeitgenossen in der Darstellung der Landschaft größer als der
zwischen ihm und dem über hundert Jahre früher geborenen Vlamen.
Es fehlt zur Zeit noch an einer wissenschaftlichen Untersuchung, die die
merkwürdigen Fäden klarlegt, durch die der Wallone Watteau und die
flämischen und französischen Künstler seiner Zeit mit Rubens und seiner
Schule verbunden sind. Deshalb mag die Abbildung einer Aktstudie nicht
unnütz sein, die in entzückender Weise zeigt, wie lebenskräftig die Kunst des
Rubens gerade zu Anfang des 18. Jahrhunderts war. Das Blatt <Abb. 3) —
eine sogenannte Academie, d. h. Studie am lebenden Modell — fand sich in
einemKlebeband des Dresdner Kupferstichkabinetts, in dem Aktstudien aus
verschiedenen Zeiten und Schulen und von meist sehr geringem Werte ent-
halten sind, ohne daß die einzelnen Blätter durch Künstlernamen ausgezeich-
net wären. Es wird auch schwer sein, für das hier abgebildete Blatt den
Namen eines bestimmten Künstlers ausfindig zu machen, da uns heute die
Zeitgenossen des Watteau in Frankreich und Flandern noch zu wenig ver-
traut sind. Sicher ist nur, daß die Aktzeichnung dem Anfänge desl8.Jahr-
hunderts angehört, und daß in dem Künstler, der sie gezeichnet hat, die
Kunst des Rubens sehr lebendig war. Die Knie z.B. erinnern in der lockeren
lebenswarmen Behandlung des Fleisches geradezu an die Knie der Helene
Fourment in der Kaiserlichen Galerie zu Wien. An Watteau selber wird
man auch gemahnt,- besonders der leise lächelnde Ausdruck des Gesichtes
läßt an Watteaus Jünglinge mit den überschlanken Knöcheln und den schalk-
haften Mienen denken. Trotzdem wird man die Zeichnung nicht für ein
Werk Watteaus nehmen können,- denn einmal läßt sich in Aktstudien die
Hand eines bestimmten Meisters nur selten mit Sicherheit erkennen, und
zum anderen zeigen die wenigen beglaubigten Aktstudien des Watteau ein
etwas anderes Gepräge. Man wird also das hübsche Blatt vorerst ohne die
Ehre eines Meisternamens belassen müssen. Immerhin legt es ein beredtes
Zeugnis dafür ab, daß die Suche in den alten Beständen unsererZeichnungs-
kabinette lohnend ist, und daß die Mühe, die man im Dresdner Kupferstich-
kabinett neuerdings mit besonderem Eifer dem Ordnen der Zeichnungen
widmet, Aussichten auf noch manchen schönen Fund eröffnet.

9 Rötel, etwas weiß erhöht. 31,4 : 16,9 cm.

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