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Moderne Bauformen: Monatshefte für Architektur und Raumkunst — 6.1907

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Nr. 8
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Creutz, Max: Arbeiten aus der Schule von Professor Grenander
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https://doi.org/10.11588/diglit.23633#0438
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ARBEITEN AUS DER SCHULE VON PROFESSOR GRENANDER

Die Kunstschulen gewinnen in letzter Zeit auch
in fortschrittlichem Sinne einen grösseren Ein-
fluss auf eine konkretere Fassung der neuen künst-
lerischen Anschauung. Sie beginnen damit eine
Aufgabe zu erfüllen, die schon längst der Inangriff-
nahme harrt. Der schwerfällig eingesessene Apparat,
das ancien regime, mit seinen mannigfachen bureau-
kratischen Verästelungen ist hier ein schwierig zu
beschneidendes Hindernis. Junge Triebe werden
widerwillig geduldet und in ihrem Wachstum be-
hindert. Es entstehen unerquickliche Zustände, die
jedoch im Fortschritt der Zeit von nicht allzu langer
Dauer sein können. V
V Die erste durchgreifende Reorganisation der
Kunstgewerbeschulen ging von Düsseldorf aus. Der
Dresdener Ausstellungsraum dieser Schule war in
jeder Beziehung eine glänzende Leistung, ein un-
geahnter Fortschritt auf diesem Gebiete, der nur
durch das organisatorische und didaktische Genie
Peter Behrens’ verständlich wird. V
V Auch Berlin berechtigt neuerdings zu schönen
Hoffnungen. Professor Alfred Grenander hat schon
seit längerer Zeit einen bestimmenden überaus
glücklichen Einfluss auf seine Schüler gewonnen.
Die hier veröffentlichten Entwürfe sind in seiner
Klasse ausgeführt. Der Zusammenhang mit der
Anschauung Grenanders ist ohne weiteres ersicht-
lich und erscheint zunächst als das Wesentliche
im Verhältnis des Lehrers zum Schüler. V
V Gerade das Unterordnen unter eine gesetzmässige
Anschauung, einen bestimmten künstlerischen Or-
ganismus führt zur Erkenntnis der eigenen Origi-
nalität, die sich später selbsttätig zum Ausdruck
bringt. Für mehr handwerklich reproduzierende
Naturen dagegen, welchen die Selbständigkeit der
eigenen Auffassung fehlt, wird jene Schulung zu
einer nachhaltig wirksamen künstlerischen Kraft.
V Professor Grenander legt besonderen Wert auf
die Vielseitigkeit der Entwürfe und Aufgaben.
Innenausstattungen jeder Art wechseln mitEntwürfen

zu Vestibülen, Treppenhäusern und Aussenarchi-
tekturen. Bei den Innenräumen, die naturgemäss
überwiegen, fällt besonders die Raumgestaltung als
solche auf, das Zurückdrängen aller raumbeengenden
Elemente unter den tektonischen Organismus des
Ganzen. In diesen Entwürfen kann man durchweg
von wirklichen Räumen sprechen, die in ihrer
lichten Helligkeit und feinen Koloristik gegenüber
den vollgepfropften Rumpelkammern einer mittel-
alterlichen Anschauung von Reinlichkeit und Be-
wohnbarkeit der Behausung eine wirkliche Errungen-
schaft bedeuten. Es hat sich hier ein ähnlicher
Umschwung wie in der Entwicklung der Dunkel-
und Hellmalerei der letzten Jahrzehnte vollzogen,
ein Wechsel, wie „wenn man aus völliger Dunkel-
heit plötzlich in leuchtende Helle tritt“. Auch in
tektonischer Hinsicht zeugt die Raumkunst dieser
Arbeiten bis in alle Einzelheiten von einer origi-
nalen und einwandfreien Durcharbeitung. V
V Bei einem der Entwürfe ist ein unmerkliches
Anlehnen an die Antike von besonderem Interesse,
weil hier eine gewisse Wesenverwandtschaft sich
mit der Antike verbindet, gleichzeitig jedoch der
grosse Fortschritt unserer Zeit in anderen Entwürfen
aufs deutlichste zum Ausdruck kommt. Was wir
der Antike gegenüber voraus haben, ist die Heraus-
arbeitung hoher lichter Räume, die in den meisten
Entwürfen durch einen freien und neutralen Luft-
raum über der eigentlichen Bewegungssphäre ge-
schaffen sind. Das Lastende der älteren Anschauung
wird hier in freier Leichtigkeit gehoben. So werden
diese Räume in wohltuendem Kontraste lebendig.
Die einfachen hohen Flächen bändigen die un-
ruhigeren Linien der Gebrauchsmöbel. V
V Die Ausstattung selbst wird in ihrer vollendeten
Behandlung bis in alle Einzelheiten von kluger
Ueberlegung bedingt. Das Einzige, was diesen
Arbeiten fehlt, ist eine realere Existenz, die ihnen
in jeder Beziehung zu wünschen wäre. V
MAX CREUTZ
 
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