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Vorwort zur ersten Ausgabe

Als vor fast vierzig Jahren die ersten neuen Darstellungen
zur Geschichte der polnischen Kunst entstanden, war
über das Werk des Architekten Tilman van Gameren
(Abb.II-III) nicht viel mehr bekannt als zur Zeit des
letzten polmschen Königs Stamslaw August Poniatowski
oder in der Mitte des 19. Jahrhunderts: Stanislaw August
wußte, daß dieser Künstler der Architekt des Krasinski-
Palastes und der Kirche der Sakramentinerinnen in War-
schau gewesen war, und in Edward Rastawieckis »Slow-
nik malarzöw polskich« (Lexikon der polnischen Maler)
aus dem Jahr 1851 lesen wir »Tilman, Zeichner und
Baumeister, aber vermuthch auch Maler, der in der zwei-
ten Hälfte des 17. Jahrhunderts lebte [...], lieferte für den
Bau der St. Annen Kirche in Krakau [...] die Zeichnung«.1
Feliks Kopera, einer der Autoren des monumentalen
Werkes »Polska, jej dzieje i kultura« (»Polen - seine
Geschichte und seine Kultur«) aus dem Jahre 1931, ver-
band mit dem Namen Tilmans denn auch nur die Kirche
der Sakramentinerinnen in Warschau und die Bernhardi-
nerkirche in Czerniakow.2 Wladyslaw Tatarkiewicz
schrieb in seiner Arbeit über die Architektur der Neuzeit
in »Wiedza o Polsce« (»Wissen über Polen«) von 1932
darüberhinaus Tilman die Annenkirche in Krakau, das
Schloß in Nieboröw und den Krasinski-Palast in War-
schau zu und erkannte an, daß »Tilman zu den allerbesten
Architekten der Hauptstadt gehörte«.^ In der neuesten
Bearbeitung des »Zarys dziejöw architektury w Polsce«
(Grundriß der Geschichte der Architektur in Polen) von
1968 widmete Adam Milobedzki Tilman einen umfangrei-
chen Abschnitt, in dem wir u. a. lesen, daß er »der
hervorragendste Architekt seiner Epoche war« und be-
stimmt »einer der hervorragendsten, die je in Polen tätig
waren,« sowie daß »sem reiches und vielgestaltiges Schaf-
fen für eme ganze Epoche ausreicht«.4 In wissenschaftli-
chen Zeitschriften außerhalb Polens trifft man solche
Bewertungen, wie sie Goerd Peschken 1967 äußerte:
»Tylman van Gameren [...] der einer der großen Archi-
tekten des europäischen Barocks gewesen ist [...] hat zu
dem Barock Polens eme Reihe Bauwerke von internatio-
nalem Rang beigetragen«. 5

Die hohe Bewertung von Tilmans Werk in der Gegen-
wart resultiert aus dem großen Fortschritt, den die Wis-
senschaft in ihren Forschungen über Tilman und seine
Epoche m den letzten Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg
und in den fünfundzwanzig Nachkriegsjahren gemacht
hat. In dem ersten Zeitraum spielten die bahnbrechenden
Studien von Tadeusz Makowiecki eine entscheidende
Rolle. 1935 veröffentlichte er eine grundlegende Abhand-
lung über Tilman, in der er alle bis dahin bekannten

Informationen zum Leben und Schaffen des Künstlers
zusammenfaßte, durch zahlreiche neue Quellenfunde ver-
vollständigte und ihm zutreffend einige Werke neu zu-
schrieb.6 Danach publizierte er monographische Bearbei-
tungen des Palastes in Lubnice und der Kirche in Czer-
niaköw. 7

Der große Druchbruch m der Forschung über Tilman
gelang erst, als Kazimierz Bulanda und Stanislawa Sawicka
im Dezember 1934 in den Sammlungen der Bibliothek der
Universität Warschau über 1100 Architekturzeichnungen
wiederfanden. Eine Gegenüberstellung mit Bauwerken,
deren Autorschaft urkundhch belegt war, und die Be-
schriftungen und Notizen auf den Blättern ließen keinen
Zweifel daran, daß es sich um Zeichnungen von Tilman
handelte. Vermutlich hatte Tilman - gemäß dem Rat
Scamozzis8 - seine außerordenthch reiche Sammlung, die
überwiegend aus eigenhändigen Entwurfszeichnungen
auf nicht sehr großen, genormten Papierblättern bestand,
immer griffbereit gehalten. Erst am Ende seines Lebens
übergab er sie zusammen mit seiner eigenen Bibhothek
und dem instrumentanum an die Bibliothek des Kapuzi-
nerklosters in Warschau. Von dort waren die Zeichnungen
nach dem Januaraufstand 1863 zusammen mit einigen
Büchern und Dokumenten Tilmans m die Warschauer
Universitätsbibliothek gelangt. Die Wissenschaftler
konnten den aufsehenerregenden Fund allerdings nicht
sofort in vollem Maße auswerten, obwohl sich herausstell-
te, daß es sich bei den meisten Zeichnungen Tilmans um
Studien für Entwürfe zu ganz konkreten, wenn auch nicht
immer zur Ausführung gelangten Objekten handelte. Eine
Schwierigkeit bildete die noch ungenaue, nur allgememe
Kenntnis der polnischen Architektur der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts. Außerdem waren noch weitere
Quellenstudien notwendig. Die Ergebnisse der ersten
Bestimmung einzelner Zeichnungen, die während der
Ordnung der gesamten Sammlung von Stamslawa Sawic-
ka, der Leiterin des Graphischen Kabmetts der Bibhothek
der Universität Warschau, und von Tadeusz Makowiecki
vorgenommen worden ist, pubhzierte Makowiecki in der

1 Rastawiecki, 1851,8.273.

2 Kopera; 1931, Bd. 2, S. 397-398.

3 Tatarkiewicz, 1932, S. 528-530.

4 Milobpdzki, 1968, S. 20off.
s Peschken 1967, S. 230.

6 Makowiecki, 1934-a, S. 11-27.

7 Makowiecki, 1934-b, S. 40-45; Makowiecki, 1938-b, S. 17-38.

8 »E molto giusto et honesto che le invenzioni, i disegm, et i modelli,
come cose proprie, e che toccano l’interesse d’honore, e di riputatione,
che altri potesse levare, siano sempre appresso all’ architetto« Scamoz-
zi, 1615, I, S. 21.

VII
 
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