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Nicht lokalisierbare Bauten
Nr. 59-Nr. 65

59. Entwurf zu einem eingeschossigen Landpalast

Bei der Besprechung der mcht beschrifteten Zeichnungen
Tilmans, unter denen sich einige zu Gruppen zusammen-
fassen lassen, die bestimmte, allerdings nicht identifizierte
Objekte betreffen, bemerkt Makowiecki: »[...] ein inter-
essantes und vielleicht mit Sobieski verbundenes Projekt
für einen Palast mit einem fantastisch komplizierten
Grundriß, dessen Silhouette trotz der Unterschiede im
Grundriß anscheinend unter dem Einfluß Wilanöws ent-
standen ist, ist in der Sammlung mit sechs Zeichnungen
(AT 348-353) vertreten«.1

Die Blätter sind leider vernichtet2 und bis auf eine von
Makowiecki publizierte Zeichnung bildlich nicht überlie-
fertü Diese vermittelt einen gewissen Eindruck von dem
erwähnten Projekt (Abb. 238). Sie zeigt den Fassadenauf-
riß eines breiten eingeschossigen Baues (Breite ca. 77
Ellen), der aus einem fünfachsigen polygonalen Kernbau
und zwei emgezogenen einachsigen Rücklagen besteht.
Letztere schließen mit zweiachsigen Pavillons ab. Der
dreiachsige, mit emern mehrteiligen Dach gedeckte Mittel-
teil ist um ein Mezzaningeschoß erhöht und nimmt sicher-
lich den repräsentativen Ffauptraum des Palastes auf.
Vermutlich ist deshalb an diesen Mittelteil ein polygonales
Vestibül angefügt, das ebenfalls mit schrägen Dächern
abschließt. Auch die Pavillons sind um ein Geschoß,
allerdings mit zwei Fensterreihen, erhöht und mit Zierhel-
men versehen. Über den kurzen Rücklagen sind einfache
Satteldächer geplant. Die horizontalen Bänder des hohen
Sockels und das Kranzgesims des Erdgeschosses verbin-
den das Ganze kompositorisch. Die Fassade des Vestibüls
mit dem durch eine ovale Kartusche geschmückten Portal
wird an der Seite durch ein Lisenenpaar eingefaßt, das den
Dreieckgiebel mit einer Figur auf der Spitze trägt. Auch
die Aufstockung des Mittelteils und die Pavillons erhielten
eme Lisenengliederung. Die in zwei Varianten entworfene
Aufstockung mit schmuckvollen Einfassungen für die
klemen Fenster schließt mit einer Balustradenattika mit
Sockeln für Statuen oder Vasen ab. Man kann annehmen,
daß sich hier eine Terrasse befindet, auf deren Mitte sich
das auf der Zeichnung sichtbare einachsige Belvedere
erhebt. Es lst 1m Grundriß quadratisch, mit einem kuppel-
artigen Dach bedeckt und auf vier Seiten mit segmentbo-
genförmig abgeschlossenen Adikulen versehen. Kartu-
schen füllen die Felder der Giebel, auf ihre Spitzen sind

Vasen gestellt, in denen sich Schornsteinmündungen be-
finden. Em ähnlicher Schornstein in Vasenform bekrönt
das kuppelartige Dach des Belvedere. Die beiden Pavil-
lons, die in zwei Varianten gezeichnet sind, erhielten
ebenfalls schmuckvolle Lösungen. In der linken Variante
schlägt Tilman zusätzliche Seiteneingänge vor, die zu den
Räumen 1m Erdgeschoß führen und denen einläufige, mit
Balustraden emgefaßte Treppen vorgelegt sind. Dieser
Pavillon soll mit emem Helm abschließen, der von einem
pagodenartigen Sockel in eine zwiebelförmige Bekrönung
mit klemen, schmuckvollen Lukarnen übergeht und mit
emem den Schornstein aufnehmenden Volutenpinakel
endet. In der rechten Vanante fehlen der Eingang und die
Treppe; den Pavillon deckt ein Mansarddach. Letzteres ist
mit dekorativen Gehängen und Lukarnen versehen und
hat emen Schornstem, der wie aus vier Ädikulen zusam-
mengesetzt wirkt und dadurch auf die Formen des Belve-
dere über dem Mittelteil Bezug nimmt.

Da die anderen fünf Zeichnungen fehlen, ist es nicht
möglich, die ganze architektonische Konzeption zu erfas-
sen und das Projekt näher zu bestimmen. Auch der
Auftraggeber für diesen Entwurf läßt sich schwer ausma-
chen. Die von Makowiecki erwähnten Analogien zu
Schloß Wilanöw nach der Erweiterung 1682-1684 sind
vor allem im Mittelteil in der Erhöhung und der Bekrö-
nung mit einer Balustradenattika erkennbar und finden
sich auch in den an den Kernbau angefügten Rücklagen
mit den Pavillons sowie in der allgemeinen Form des
Pavillonhelmes in der linken Variante. Ob damit der
Einfluß des königlichen Baues von Wilanöw auf Tilman
bezeugt wird, oder - und diese Möglichkeit kann man
wohl nicht ausschließen - ob sich vielleicht Locci bei
Wilanöw teilweise auf diese oder ähnliche Entwürfe Til-
mans stützte, können wir bei dem derzeitigen Wissens-
stand nicht klären. Auf jeden Fall kann man diesen
Entwurf Tilmans aufgrund der Ähnlichkeit mit Wilanöw
nach dem letzten Umbau zu Lebzeiten Johann Sobieskis
hypothetisch auf die Mitte der neunziger Jahre datieren.4

1 Makowiecki, 193 8-a, S. 157.

2 Sawicka-Sulerzyska, 1960, S. 64.

3 Makowiecki, 1938-a, Taf. IV-2.

4 Zuletzt ist dieser Entwurf hypothetisch mit einem Palast verbunden
worden, der wahrscheinlich nach 1699 auf dem Gebiet der Privatstadt
Wielopole errichtet worden ist (Kataster-Nr. 957). Siehe Putkowska,
1972, S. 143. Zur Geschichte dieses Warschauer Palastes, der später den
Lubomirski gehörte, siehe Sokoiowska, 1972, S. 44-45.

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