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Lebenslauf

Hollandi cunas, Itali videre inventam
Tilmanni ä Gameren, Sarmatis istud opus
(autobiosxaphischer Doppelvers aus dem Tahre
1666/67, Abb.I)

Tilman (Thielman) van Gameren, der m polnischen Do-
kumenten »Batavus« oder »Ultraiectinus« bezeichnet
wurde,1 war der Sohn des Utrechter Schneiders und
späteren Tuchhändlers Jacob Janszon van Gameren (gest.

4. Juli 1642) und dessen zweiter Frau Annechjen Willems
van Aelten (gest. 15. August 1636).2 Tilmans Elternhatten
am 6. Dezember 1629 geheiratet, seine Taufe fand am

5. Juli 1632 in der protestantischen Kathedrale in Utrecht
statt. Daraus läßt sich schließen, daß Tilman zwischen
dem Ende des Jahres 1630 und der Mitte des Jahres 1632
geboren wurde. Tilmans Vater heiratete nach dem frühen
Tod seiner Frau Annechjen, die auch zwei Töchter zur
Welt gebracht hatte, zum dritten Mal. Der Name van
Gameren weist daraufhin, daß die Familie aus Gameren
bei Utrecht stammte. In emem Land, dessen Reichtum
sich im 17. Jahrhundert hauptsächlich auf die bierstellung
und die Ausfuhr von Textilwaren gründete, dürfte der
Beruf des Vaters der Familie einen gewissen Wohlstand
gesichert haben.

Tilman erhielt die Anfänge seiner künstlerischen Ausbil-
dung in Holland. Recht früh zog er jedoch in die Welt
hinaus, möglicherweise infolge des väterlichen Todes am
4-Juli 1642. In Quellen des Utrechter Archivs ist der
Künstler noch 1638 erwähnt: so m dem Testament semer
Großmutter mütterhcherseits, Chijsbertgen Thielmans,
vom 27. Mai, in welchem ihm ein Vermögensanteil vererbt
wird. Daraus folgt aber mcht, daß Tilman auch zu dieser
Zeit in seinem Geburtsland wohnte. Seine frühen Reisen
ins Ausland und damit verbundene Studien und Arbeiten
smd durch wemge, aber unzweifelhafte Quellen belegt.
Die bescheidenste ist das anfangs zitierte eigenhändige
autobiographische Epigramm aus dem Jahre 1666/67R
Umfangreichere Informationen enthält der Text eines
offiziellen Dokuments von 1676: »Tilmanus a Gameren
[.. .] totam iuvenilis et magnam virilis aetatis partem togae
literariae ac scientiae rei militaris et geometriae dicavit, ut
in celebrerrimis Academiis non discendo solum, sed etiam
alios docendo, summa cum laude per multos solis regres-
sus commoraretur, deinde Germamam, Italiam aliasque
exteras nationes pervagatus, studii sui profectum auxit
accumulavitque«.4 Aus diesem Text, dessen Autor - was

man nicht vergessen sollte - vor allem Tilmans Qualifika-
tionen als Militänngenieur hervorheben wollte, erfahren
wir von Tilmans Reisen nach Deutschland, Italien und m
andere Länder, unter denen Frankreich bestimmt nicht
gefehlt hat. Außerdem wird hier Tilmans Ausbildung in
der Militärkunde, der Geometrie und den humanistischen
Wissenschaften erwähnt. Neben der architectura militans
war wohl auch die architectura civilis gleichermaßen Ge-
genstand seiner Studien. Schließlich wissen wir, daß er an
Sitzungen verschiedener berühmter Akademien teilge-
nommen hat, und zwar mcht nur als Hörer sondern auch
als Lehrender.

Die Glaubwürdigkeit dieser Nachrichten ist nicht zu
bezweifeln. Tilmans Bibliothek in Warschau, die Werke
aus den Bereichen der Militär- und Zivilarchitektur, aus
Geometrie, Mathematik, Physik, Malerei und Kunsttheo-
rie, Geographie, Philosophie und antiker und neuzeitli-
cher Literatur enthielt, zeugt denn auch in eindrucksvoller
Weise von seinen weitgefächerten Interessen und seiner
Bildung. 5 Diese Bibliothek, die für den Privatbesitz eines
Architekten im 17. Jahrhundert außergewöhnlich war,
enthielt Werke in lateinischer, holländischer, italienischer,
französischer sowie deutscher und polmscher Sprache.
Ihre Benutzung war nur mit guten Kenntmssen fremder
Sprachen möglich, die sich Tilman während seiner oben
erwähnten Studienreisen hatte erwerben können. Seme
Zeichnungen signierte er italiemsch, später auch teilweise
polnisch sowie gelegentlich französisch oder deutsch.

Die zweite grundlegende Quelle, die uns Tilmans Stu-
dien und seine künstlerische Tätigkeit vor seiner Ankunft
in Polen kennenlernen läßt, ist die 1660 m Venedig
erschienene Versdichtung des Marco Boschim »Carta del
navegar pitoresco«. Dieses Buch befand sich neben zwei

1 Er unterzeichnete in der Regel lateinisch »Tilman a (oder: de)
Gameren«. Deshalb habe ich mich in Anlehnung an Tadeusz Mako-
wiecki entschlossen, nicht den polnischen Adelsnamen Gamerski zu
gebrauchen, der Tilman nach seiner Erhebung m den Adelsstand
zustand. Siehe Makowiecki, 1934-a, S. 13-13; Makowiecki, 1938-a,
S.136-138, 161-162.

2 Die archivalischen Nachrichten, die sich auf Tilmans Famihe bezie-
hen, verdanke ich der Freundlichkeit der Leiter des Gemeente Archief
in Utrecht, den Herren J. von Campen und J.E.A.L. Struick (Briefe
vom 3o.März 1960 und 6. November 1981). Aus derselben Quelle
bezog schon früher Informationen S. Kozakiewicz, 1948-1958, S. 261.

3 Makowiecki, 1938-a, S. 159, Fig. 1.

1 Makowiecki, 1938-a, S. 168-169.

s Mossakowski, 1961, S. 25-32 und Anhang II.

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