1692-1695 die nach ihr »Marieville« genannte Anlage
außerhalb der Mauern des alten Warschaus als neues
Handelszentrum errichten ließ (Abb. 209-211). Die Idee,
einen einheitlich gestalteten Platz mit Bauten einzufassen,
die in genormte Geschäfts- und Wohneinheiten zur Ver-
mietung aufgeteilt waren, hatte die Königin von der
Pariser Place Dauphme übernommen, die unter Hein-
richlV. auf der Ile de la Cite seit 1607 errichtet worden
war.6 Marieville war allerdings nicht nur eine Handels-
stadt; die seitliche Bebauung endete in zwei großen,
prächtigen Pavillons, die für die Königin und den König
bestimmt waren. Das wiederum knüpfte an einen anderen
berühmten Platz in Paris an, die Place Royale (jetzt Place
de Vosges), auf dem, sich gegenüberliegend, an den Seiten
Pavillons für das Königspaar errichtet worden waren.7
Genau wie die Place Royale sollte Marieville eine architek-
tonische Umrahmung für höfische Festlichkeiten, Banket-
te und Karnevalvergnügungen bieten und ein Ort sein, an
dem sich die elegante Welt der Hauptstadt treffen konnte.
Der Platzanlage in Paris stand die Warschauer auch durch
ihre Arkadenlauben 1m Sockelgeschoß nahe, ein italieni-
sches und auch m Polen schon lange bekanntes Motiv
(z. B. Zamosc). Dadurch, daß Marieville die Funktionen
zweier verschiedener städtebauhcher Anlagen m Pans m
sich verband, war es mehr als nur die frühe Umwandlung
eines in Frankreich entwickelten architektomschen The-
mas, des »königlichen Platzes«. Anders als dort waren hier
der fünfeckige Grundriß und die Formen der Architektur.
Der auf der Rückseite des Platzes angelegte weitläufige
Park, der bis an die königlichen Pavillons reichte und vom
Platz durch eine Arkadengalerie abgetrennt war, machte
aus dieser städtischen Anlage gleichzeitig eine bequeme
ländliche Residenz. Schließlich war das architektonische
und ideelle Zentrum der Anlage eine der Siegreichen
Gottesmutter geweihte Kirche. Diese kleine Kuppelkirche
lag in der Mitte zwischen den Galerieflügeln und sollte an
den Sieg Sobieskis bei Wien erinnern. Durch sie erhielt das
Ganze einen denkmalartigen und religiösen Charakter.
Anstelle des Monarchendenkmals der Place Dauphine
oder der Place Royale stand in Marieville ein Kirchenmo-
nument. So war nach dem Willen des Königspaares, das in
seinen Bauten gern gleichzeitig an ausländische Vorbilder
und heimische Traditionen anknüpfte, in Warschau eme
einzigartige Anlage entstanden, die ein elegantes städti-
sches Handelszentrum mit emem Platz für höfische Feier-
lichkeiten und Vergnügungen, mit einer ländlichen Resi-
denz und einer Gedächtniskirche verband.
Offensichtlich neideten die Warschauer Ratsherren der
Königin die gute Idee und ließen deshalb im Gegenzug 111
den Jahren 1700-1701 im Zusammenhang mit den durch
die Pflasterkommission veranlaßten Ordnungsarbeiten
rund um das Rathaus in der Altstadt in emem regelmäßi-
gen Viereck Marktstände zur Vermietung errichten
(Abb. 245-248). Ihr Außenbau wurde durch eine alles
bekrönende Balustradenattika mit Vasenpaaren in den
Hauptachsen und eme Lisenengliederung vereinheitlicht,
die das Ganze m Ladenemheiten unterteilte. Das Portal,
das zu einem kleinen Innenhof vor dem Rathaus führte,
sollte mit Hermenpilastern und einer Statue auf dem
Giebel, gewiß Merkur, geschmückt werden. Funktionali-
tät, Einfachheit und die Ökonomie der Mittel, die aber
nicht ohne architektonischen Ausdruck waren, charakte-
risieren diesen Bau Tilmans.
Stadtanlagen
Die Verdienstmöglichkeiten, die Warschau als das politi-
sche und wirtschaftliche Zentrum des Landes bot, began-
nen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch zunehmend
durch die Magnaten genutzt zu werden, die etwas außer-
halb der Stadt eigene, von der städtischen Gerichtsbarkeit
unabhängige und mit der Hauptstadt konkurrierende
kleine Privatstädte (Jurydyki) gründeten.8 Im Auftrag von
Stamslaw Herakliusz Lubonurski führte Tilman 1699
einen Entwurf zu einer solchen Privatstadt aus (Abb. 238).
Sie sollte auf dem Gelände der Besitzungen in Ujazdöw an
der Mündung des Straßenzuges Nowy Swiat angelegt
werden und den traditionellen Schachbrettplan mit einem
rechteckigen Marktplatz im Zentrum erhalten. Vor dem 111
der Mitte des Marktplatzes geplanten Rathaus wollte man
nach dem Entwurf des Architekten eine Säule vermutlich
mit einer Statue aufstellen, die den Gründer und Besitzer
dieser Privatstadt, Marschall Lubomirski, darstellte. In
der Achse des Straßenzuges Nowy Swiat errichtet und auf
diese Weise den sogenannten Königsweg (Trakt Krölew-
ski) im Süden abschließend, war diese Säule wohl als
städtebauliches und ideelles Gegenstück zu der Sigis-
mund-Säule vor dem Warschauer Schloß gedacht. Der
Hauptgedanke, der hinter dieser Planung stand, wird
jedoch durch Tilmans aufschlußreiche Notiz am Rande
des Entwurfs erklärt: »Zweihundert Häuser [...] zu zwölf
Fl. Miete ergibt 2400 im Jahr«.
Das Projekt für die Privatstadt Ujazdöw, das zahlreiche
Analogien zu anderen polnischen Stadtanlagen aus der
zweiten Hälfte des 16. und aus dem 17. Jahrhundert besitzt
(u. a. Zamosc, seit 1579), ist im Grunde ziemlich konven-
tionell.9 Außergewöhnliche Origmalität zeichnet hmge-
gen Tilmans zweites großes Projekt für eine Stadtanlage
aus, dessen Zeichenstudien Daten aus den Jahren
1697-1699 tragen: es handelt sich um das Projekt für ein
6 Vgl. Blunt, 1957, S. 94-95.
/ Vgl. Blunt, 1957, S. 94-96, Taf. 7i-A, 72-A. Auf die Place Royale als
Vorbild für das Warschauer Marieville machte bereits Gurlitt, 1917,
S.47, aufmerksam.
8 Siehe hierzu die »Hinweise der Übersetzerin«.
9 Siehe Kalinowski, 1972, S.407-411; Putkowska, 1972, S. 148; Put-
kowska, 1991, S. 178.
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außerhalb der Mauern des alten Warschaus als neues
Handelszentrum errichten ließ (Abb. 209-211). Die Idee,
einen einheitlich gestalteten Platz mit Bauten einzufassen,
die in genormte Geschäfts- und Wohneinheiten zur Ver-
mietung aufgeteilt waren, hatte die Königin von der
Pariser Place Dauphme übernommen, die unter Hein-
richlV. auf der Ile de la Cite seit 1607 errichtet worden
war.6 Marieville war allerdings nicht nur eine Handels-
stadt; die seitliche Bebauung endete in zwei großen,
prächtigen Pavillons, die für die Königin und den König
bestimmt waren. Das wiederum knüpfte an einen anderen
berühmten Platz in Paris an, die Place Royale (jetzt Place
de Vosges), auf dem, sich gegenüberliegend, an den Seiten
Pavillons für das Königspaar errichtet worden waren.7
Genau wie die Place Royale sollte Marieville eine architek-
tonische Umrahmung für höfische Festlichkeiten, Banket-
te und Karnevalvergnügungen bieten und ein Ort sein, an
dem sich die elegante Welt der Hauptstadt treffen konnte.
Der Platzanlage in Paris stand die Warschauer auch durch
ihre Arkadenlauben 1m Sockelgeschoß nahe, ein italieni-
sches und auch m Polen schon lange bekanntes Motiv
(z. B. Zamosc). Dadurch, daß Marieville die Funktionen
zweier verschiedener städtebauhcher Anlagen m Pans m
sich verband, war es mehr als nur die frühe Umwandlung
eines in Frankreich entwickelten architektomschen The-
mas, des »königlichen Platzes«. Anders als dort waren hier
der fünfeckige Grundriß und die Formen der Architektur.
Der auf der Rückseite des Platzes angelegte weitläufige
Park, der bis an die königlichen Pavillons reichte und vom
Platz durch eine Arkadengalerie abgetrennt war, machte
aus dieser städtischen Anlage gleichzeitig eine bequeme
ländliche Residenz. Schließlich war das architektonische
und ideelle Zentrum der Anlage eine der Siegreichen
Gottesmutter geweihte Kirche. Diese kleine Kuppelkirche
lag in der Mitte zwischen den Galerieflügeln und sollte an
den Sieg Sobieskis bei Wien erinnern. Durch sie erhielt das
Ganze einen denkmalartigen und religiösen Charakter.
Anstelle des Monarchendenkmals der Place Dauphine
oder der Place Royale stand in Marieville ein Kirchenmo-
nument. So war nach dem Willen des Königspaares, das in
seinen Bauten gern gleichzeitig an ausländische Vorbilder
und heimische Traditionen anknüpfte, in Warschau eme
einzigartige Anlage entstanden, die ein elegantes städti-
sches Handelszentrum mit emem Platz für höfische Feier-
lichkeiten und Vergnügungen, mit einer ländlichen Resi-
denz und einer Gedächtniskirche verband.
Offensichtlich neideten die Warschauer Ratsherren der
Königin die gute Idee und ließen deshalb im Gegenzug 111
den Jahren 1700-1701 im Zusammenhang mit den durch
die Pflasterkommission veranlaßten Ordnungsarbeiten
rund um das Rathaus in der Altstadt in emem regelmäßi-
gen Viereck Marktstände zur Vermietung errichten
(Abb. 245-248). Ihr Außenbau wurde durch eine alles
bekrönende Balustradenattika mit Vasenpaaren in den
Hauptachsen und eme Lisenengliederung vereinheitlicht,
die das Ganze m Ladenemheiten unterteilte. Das Portal,
das zu einem kleinen Innenhof vor dem Rathaus führte,
sollte mit Hermenpilastern und einer Statue auf dem
Giebel, gewiß Merkur, geschmückt werden. Funktionali-
tät, Einfachheit und die Ökonomie der Mittel, die aber
nicht ohne architektonischen Ausdruck waren, charakte-
risieren diesen Bau Tilmans.
Stadtanlagen
Die Verdienstmöglichkeiten, die Warschau als das politi-
sche und wirtschaftliche Zentrum des Landes bot, began-
nen seit der Mitte des 17. Jahrhunderts auch zunehmend
durch die Magnaten genutzt zu werden, die etwas außer-
halb der Stadt eigene, von der städtischen Gerichtsbarkeit
unabhängige und mit der Hauptstadt konkurrierende
kleine Privatstädte (Jurydyki) gründeten.8 Im Auftrag von
Stamslaw Herakliusz Lubonurski führte Tilman 1699
einen Entwurf zu einer solchen Privatstadt aus (Abb. 238).
Sie sollte auf dem Gelände der Besitzungen in Ujazdöw an
der Mündung des Straßenzuges Nowy Swiat angelegt
werden und den traditionellen Schachbrettplan mit einem
rechteckigen Marktplatz im Zentrum erhalten. Vor dem 111
der Mitte des Marktplatzes geplanten Rathaus wollte man
nach dem Entwurf des Architekten eine Säule vermutlich
mit einer Statue aufstellen, die den Gründer und Besitzer
dieser Privatstadt, Marschall Lubomirski, darstellte. In
der Achse des Straßenzuges Nowy Swiat errichtet und auf
diese Weise den sogenannten Königsweg (Trakt Krölew-
ski) im Süden abschließend, war diese Säule wohl als
städtebauliches und ideelles Gegenstück zu der Sigis-
mund-Säule vor dem Warschauer Schloß gedacht. Der
Hauptgedanke, der hinter dieser Planung stand, wird
jedoch durch Tilmans aufschlußreiche Notiz am Rande
des Entwurfs erklärt: »Zweihundert Häuser [...] zu zwölf
Fl. Miete ergibt 2400 im Jahr«.
Das Projekt für die Privatstadt Ujazdöw, das zahlreiche
Analogien zu anderen polnischen Stadtanlagen aus der
zweiten Hälfte des 16. und aus dem 17. Jahrhundert besitzt
(u. a. Zamosc, seit 1579), ist im Grunde ziemlich konven-
tionell.9 Außergewöhnliche Origmalität zeichnet hmge-
gen Tilmans zweites großes Projekt für eine Stadtanlage
aus, dessen Zeichenstudien Daten aus den Jahren
1697-1699 tragen: es handelt sich um das Projekt für ein
6 Vgl. Blunt, 1957, S. 94-95.
/ Vgl. Blunt, 1957, S. 94-96, Taf. 7i-A, 72-A. Auf die Place Royale als
Vorbild für das Warschauer Marieville machte bereits Gurlitt, 1917,
S.47, aufmerksam.
8 Siehe hierzu die »Hinweise der Übersetzerin«.
9 Siehe Kalinowski, 1972, S.407-411; Putkowska, 1972, S. 148; Put-
kowska, 1991, S. 178.
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