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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — [1].1902-1903

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Lange, Konrad: Ueber die Grenzen der Naturnachahmung in der Malerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7714#0081

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tteber die Grenzen der JNaturnacbabmung in der JVIalerei.

In Zeiten einer aufwärtsftrebenden Kunftentwicklung ift es aber
die pfUcbt aller, die es mit der Kunft ernft meinen, Heb der ©efetze
zu erinnern, unter denen ihr Schaffen wie alles menfcblicbe Cbun
ftebt. JNicbt foleber ©efetze freilich, die der Kunft von oben her
diktiert werden könnten und über deren Befolgung irgend eine
ftaatlicbe oder kirchliche Hutorität zu wachen hätte, fondern foleber,
die im ^tiefen der Kunft felbft begründet find und deshalb nicht ohne
©efabr für ihre gefunde Gntwicklung übertreten werden dürfen.

Klelcbe ©efetze aber wären für die Kunft wichtiger als die, die
fieb auf ihr Verhältnis zur JNatur bezieben? Qnd für welche Kunft
wären diefe ©efetze wichtiger als für die JVIalerei, die von jeher als
eine JNacbabmerin der JNatur gegolten bat? Sagt doch z.B. Ceonardo
da Vinci: „Die JVIalerei ift nichts anderes als eine JNacbabmung aller
fiebtbaren ©egenftände der JNatur, des JVIeeres, der 6rde, der pflanzen,
Ciere, ©räfer und Blumen. JVIan kann fie geradezu als eine legitime
Cocbter der JNatur bezeichnen. Sie ahmt diefe fo genau nach, wie
fie nur kann. Dasjenige ©emälde ift das lobenswertefte, das am
meiften Qebereinftimmung mit dem nachgeahmten ©egenftände zeigt.
Das behaupte ich jenen JVIalern zum Crotz, die die JNatur verbeffern
möchten, weil fie fieb einbilden, fie begebe bei ihrem Schaffen die
gröfsten fehler."

Qnd von Dürer haben wir den febönen Husfprucb: „Sieb' die JNatur
fleifsig an, riebt' dich danach und geh' nit von der JNatur ab in
deinem ©utdünken, dafs du wolleft meinen, das Beffere von dir felbft
zu finden. Denn du würdeft verführt, jk genauer dein <Klerk dem
Eeben gemäfs ift in feiner ©eftalt, umfo beffer dein 3öerk erfebeint.
Darum nimm dir nimmermehr vor, dafs du etwas beffer mögeft
oder wolleft machen, als es ©Ott feiner erfebaffenen JVatur zu wirken
Kraft gegeben bat, denn dein Vermögen ift kraftlos gegen ©ottes
©efeböpf. Hber etliche find einer anderen JVIeinung, reden davon, wie
die JVIenfcben follten fein. Darüber will ich mit ihnen nicht ftreiten.
Ich halt' aber in folebem die JNatur für JVIeifter und der JVIenfcben
?tlabn für Irrfal."

JVIan Ficht, dafs es den Künftlern der Renaiffance nicht eingefallen
ift, die JNatur mit Bewufstfein verändern, etwa idealifieren oder fteigern
zu wollen, dafs fie fie vielmehr einfach fo nachahmten, wie fie fie
fahen, und dafs fie diefe JNacbabmung für eine möglicbft genaue Kopie
der JNatur hielten.
 
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