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Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbevereins — 1907-1908

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Pazaurek, Gustav Edmund: Künstlerische Besuchskarten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7713#0077
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70

Mitteilungen des Württembergischen Kunstgewerbeverems.

Besitze) eine entzückende Karte*
gezeichnet hat.

Seltener haben sich ehedem
Zeichner oder Stecher von
besonderem Rufe entschlossen,
für andere deren Besuchskarten
zu fertigen, so daß die Aus-
nahmefälle die meistgesuchten
und höchstgeschätzten Beispiele
bilden. Namentlich in Deutsch-
land kommt höchstens der be-
kannte Augsburger J. E. Nilson
(1721 bis 1788) in Betracht,
von dem wir eine für die deutsche
Abb. 67. Rokoko-Ornamentik überaus be-

zeichnende Karte der Silber-
händler Klaucke und Benz (mehr Geschäftskarte) abbilden (Abb. 67; Besitzer:
Baron von Carlshausen, Stuttgart). In Italien dagegen haben sich eine ganze Reihe
tüchtiger Kräfte** der Besuchskarte zugewandt, nicht nur G. Angeli, C. Antonini, Cag-
nani, F. Gianni, der Venetianer P. Fonata, C. Filippo Sinati, D.Palagi,T. Rosaspina,
G.Vascellini u.a., sondern vor allem Francesco Bartolozzi (f 1813),*** Giovanni
Volpato (f 1803) und dessen berühmter Schwiegersohn Raffael Morghen
(f 1833). Gerade dadurch, daß sich so bewährte und den monumentalsten
graphischen Aufgaben vollständig gewachsene Persönlichkeiten auch für Kleinig-
keiten nicht zu schlecht dünkten, ja selbst den Tadel ihrer Zeitgenossen, daß
sie sich nicht so erniedrigen mögen, vollständig ignorierten, ist es leicht er-
klärlich, daß die Besuchskarte um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts
in Oberitalien und von dort, durch Bartolozzi verpflanzt, auch in England
eine solche Blüte erreichte. Von R. Morghen zählt das Naglersche Künstler-
lexikon eine ganze Anzahl von Besuchskarten auf, darunter auch die für
General Murat; wir bilden die weniger bekannte Karte des neapolitanischen
Ministers Marquis de Gallo ab (Abb. 68; Besitzer: Dr. A. Figdor, Wien).
Hinter Italien steht aber auch Wien, das in der Kongreßzeit für die zahllosen
gesellschaftlichen Verpflichtungen auch große Mengen von Besuchskarten be-
nötigte, nicht zurück. Dieselben Verleger, die der Wiener Wunschkarte einen
so eigenartigen und außerordentlichen Aufschwung und eine geradezu staunens-
werte Mannigfaltigkeit zu geben wußten,**** wie Ignaz und Josef Eder, Joh. Neid],

* Wie sehr z. B. diese Karte schon ihren Zeitgenossen gefiel, beweist am besten, daß sie auch
als süddeutsche Freundschafts-und Wunschkarte existiert, nämlich als Plagiat von Vogel mit der
Inschrift: „Denkmal der Erinnerung an die glücklichen Stunden der Vergangenheit". (München,
Sammlung Adolf Lentner.)

** Zeichner, Stecher und Verleger (Buchhändler und auch Buchbinder) sind nicht ausnahmslos
zu unterscheiden, zumal sich die Gewohnheit herausgebildet hatte, statt „sculp." (= sculpsit) oft
„inc." (= incidit) zu setzen, was eine Verwechslung mit „inv." (= invenit) sehr nahelegt.

*** Auf die Wiedergabe der bekanntesten Bartolozzikarten, unter denen namentlich das schöne
Blättchen für den berühmten Maler Joshua Reynolds und für Mrs. Parker — beide auch im Ham-
burgischen Museum für Kunst und Gewerbe vorhanden zu nennen sind, können wir hier ver-
zichten, weil sie aus der Zeitschrift „The Connoisseur" und darnach auch aus der Leipziger
„Illustrierten Zeitung'' jedem Interessenten zur Genüge bekannt geworden sind.

**** Es sei hier auf das eben im Erscheinen begriffene Tafel werk „Biedermeier-Wünsche" (50 Tafeln
in Farben- und Lichtdruck), Stuttgart, Julius Hoffmann, hingewiesen.
 
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