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Neue Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten, insonderheit der bewährtesten Nachrichten von den Ländern und Völkern des ganzen Erdkreises (Band 1) — Frankfurt am Mayn: bey den Gebrüdern van Düren, 1749

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https://doi.org/10.11588/diglit.67096#0240

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i88 i. Buch, allgem. Reisigesch. vii.Hauptst. von den ersten

dieses Orakels Gelegenheit gegeben hatten, und zwar folgendergestalt. Es
befand sich an dem Ort, welcher, von dieser Zeit an, das Heiligthum genen-
net worden, ein Loch, dessen Oeffnung sehr enge war. Einige Ziegen, die dahin
kamen, machten darüber, nach ihrer hüpfenden Eigenschaft, solche wunderbare
rnd seltsame Sprünge, daß der -Hirt dadurch bewogen wurde, seinen Kopf
selber darüber zu strecken und hinein zu schauen. Was er darin erblicket, das
steht nicht ausgezeichnet. Die Geschichte meldet nur / daß er darüber in eine
grose Entzückung gekommen wär, und von dieser Stund an solche Dinge ge-
redet hätte, die man für Prophezeyungen gehalten. Der Ruf von diesem Wun-
derwerk zog die benachbarte Einwohner in diese Gegend, welche, da sie sich
ebenfalls diesem Loch genähert hatten, in Entzückung geriethem Man wollte
daraus nichts anders schliessen als, daß eine günstige Gottheit, oder die Erde
selbst die Ursache davon seyn müßte, und fing alsbald an, dieser Gottheit an
bemeldtem Ort einen besondern Dienst zu erweisen, und dasjenige, was
man in dieser Entzückung sagte , als Weissagungen und Orakelsprüche zu be-
trachten.
Der Ort, wo dieses Loch war, lag an der mittägigen Seite des Par-
nasses , wohin nach der Zeit, der Tempel und die Stadt Delphis gebauet
wurden /).
Erdichkun- Weil NUN verschiedene Gottheiten nach und nach diesem Orakel
gen we- fürgestandcn; so erzählen die Geschichtschreiber und die Poeten auf eine sonder-
gen dieses bare Weise, wie eine der andern ihr Recht abgetretten habe. Die Erde und
Orakels. d?eptun belassen gemeinschaftlich dieses Orakel, doch mit diesem Unterscheid, daß
die Erde ihre Aussprüche selbst, der Neptun aber durch einen Priester mit Namen
Pyrcon, thaten. Von der Erde kam dieses Orakel auf ihre Tochter, die Themis,
welche dasselbe lange Zeit besessen, bis sie sich, dem Apollo zu Gefallen, den sie zärt-
lich liebte, desselben begab 8). Einige sagen, daß die Abtrettung an den Apollo
nicht

8) Es zeiget sich zur Gnüge in der Ge-
schichte der Gottheiten, welche diesem Orakel
Nach und nach vorgestanden, wie der Aber-
glaube von einer Erdichtung aus die andere
gerath, um die erste vest zu setzen. Anfangs
hies cs, wie man sieht, die Erde habe daselbst
geweissaget, nachgehends die Themis, hierauf
die Phöbe, die andere Tochter der Erde. Diese
war, nach einiger Vorgeben, die Mutter der
Latona und die Grosmutter des Apollo: end-
lich kam es an den Apollo. Aeschil.DsA. An-
dere sagten, daß nur die Themis an dem Fus

des Parnassus geweissaget, und daß Deuca,
lion und Pyrrha dieselbe um Rath gefraget,
auf was Art die durch die grose Wasser-
flut von Menschen entblösete Erde wieder
könnte bevölkert werden. Ovid. lVIersmoi-xh.
l.id-1. Noch andere behaupteten, daß vor
der Themis schon der Neptun seine Aussprü-
che daselbst gethan hätte. Pausan. illid. 9.
So gar wurde erzählt, daß man, nebst die-
sen Gottheiten auch den Saturn allda um
Rath gefraget haben soll.

t) Diollor'. srcttk. läd. l6
 
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