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Kurt Bauch

Elementen fast nichts5. Denn sie begnügt sich nicht damit, die überkommenen Stilformen der Witzgeneration
durch vlämische Einzelelemente in der Körperbewegung, in der Oberflächenwiedergabe oder in der Land-
schaftsgestaltung zu bereichern, wie es dort, wenn auch sehr vorzüglich, geschah, sondern sie stellt sich unter
Ausschaltung der Stiltradition und im Gegensatz zu ihr völlig und einzig auf die Basis von Rogers neuer Kunst.
Sie übersetzt Rogers Schöpfungen ins Deutsche, mit alemannischer Dialektfärbung, aber nicht mit der Formen-
sprache der Vorgeneration, sondern mit jener schöpferischen Eigenmächtigkeit, die die Grundlage zu einer
Verselbständigung der deutschen Malerei gegenüber den Niederlanden, die Grundlage für Dürers Kunst wurde.
Weder ikonographisch noch formal noch technisch würde man je die Stauffenbergflügel für niederländische
Bilder halten. Sie sind die ersten Werke desjenigen deutschen Künstlers, der das Niederländische als einziger
ganz verstand — und überwand, Martin Schongauers.
Der Stauffenbergaltar gilt der heutigen Forschung nicht als Werk Schongauers. Zwar ist diese Zu-
schreibung seit Quand diskutiert worden (1840; s. Waltz, Schongauer-Bibliographie, Berichte der Schongauer-
Gesellschaft, Colmar, 1903, Nr. 43 u. ff.). Noch Girodie (a. a. O. S. 126) wiederholte sie unbedenklich und
unkritisch, indem er den Altar in die Zeit von 1475 ab versetzte, was aus stilistischen Gründen von vornherein
unmöglich ist. Denn zwischen der Colmarer „Maria im Rosenhag" und den späteren Stichen ist kein Platz
für diese Formensprache, in der jeder Schongauerschematismus fehlt. Champion (Schongauer, 1925, S. 51)
gab die gleiche Ansetzung, hielt jedoch nur die Flügelinnenseiten für Arbeiten Schongauers, die Außenseiten
offenbar für Schulwerke, die Pieta aber für stilistisch gar nicht zugehörig, sondern für „vlämisch". (So auch
im Colmarer Katalog 1925 Nr. 39.) Daran ist bloß so viel richtig, daß die Pieta nicht nur im Einzelnen
schwächer, sondern auch weniger schongauerisch wirkt. Allein würde man sie nicht in einen direkten Zusam-
menhang mit Schongauer bringen wollen. Fast ähnelt sie der Oberweierer Tafel mehr, als es die Flügel tun.
sind die Draperien und Falten massiver und wulstiger, die Antlitze blanker und voller, Hände und Finger an den Gelenken
kräftiger gerundet, fast schon wie auf dem späteren Guersi-Altar. Das Kind ist nicht eine zarte, zart eingefügte Silhouette,
sondern ein stark körperlicher kleiner Muskelmann, dessen räumlich-motivische Beziehung zur Bildwelt gleichwohl viel
geringer ist als auf dem Altarflügel. Auch der Grasboden ist deutlicher, aber weniger fein geschildert. — Ebenso wie die
Körperlichkeit ist statt der halbangedeuteten, feinen, schwebenden Zusammenhänge die Bewegung in direkterer, aber auch
plumperer Weise wiedergegeben: Hand- und Halsbewegung der Mutter, Josephs nicht recht begründetes Herbeikommen, das
Daliegen des Kindes, das Kauen des Esels an der Hürde. Die Himmelserscheinungen jedoch sind überraschend fein bewegt.
Nur in solchen Einzellösungen geht das an sich qualitätvolle Nürnberger Bild über den strengen und geschlossenen
Stil der Stauffenbergflügel hinaus. Im Ganzen zerfällt es. Es kann keine Weiterentwicklung bedeuten, sondern nur das Werk
eines tüchtigen Schülers sein.
5 Der stilistisch uneinheitliche Charakter des Riesenoeuvres jenes hochbedeutenden Handwerkers ist scheinbar weniger
auf eine eigene künstlerische Entwicklung zurückzuführen als auf die Verschiedenartigkeit der Künstler, deren Kompositionen
oder Kompositionselemente er verwandte oder reproduzierte. Dieser Art ist wohl auch sein Zusammenhang mit dem größten
deutschen Bildhauer der Zeit, Niclas Gerhart aus Leiden, der 1462—67 in Straßburg arbeitete und der Schwiegervater von
Georg Schongauer wurde. — Mehr noch hat scheinbar E S der Malerei zu verdanken. Er entlehnte aus ihren Werken, ohne
deren stilistischen, ja selbst den motivischen Zusammenhang immer ganz verstehen oder wiedergeben zu können (vgl. Bühler,
Des Meisters E S Erweckung . . . 1928, S. 22). Zu den Malwerken, deren Stil in seinen Stichen wiedergegeben erscheint,
gehört zunächst ein „heiliger Georg" in München (Abb. Bühler a. a. O.). Das Gemälde steht dem mutmaßlichen (direkten
oder indirekten) Urbild aller dieser deutschen Drachenkampfdarstellungen des 15. Jahrhunderts, dem Bild des Campin (Abb.
Zeitschr. f. bild. Kunst 1927/28, S. 39), noch bemerkenswert nahe. Cohen (Katalog d. Gem.-Gal. i. Bonn 1914 und Zeitschr.
f. bild. Kunst 1909, S. 59 ff) und Weinberger (Münch. Jahrb. f. bild. Kunst 1924, S. 75 ff.) haben eine noch nicht recht über-
sehbare Gruppe von Gemälden zusammengestellt, die mit diesem Bild und jeweils auch mit E S verwandt sind. — Enger
noch scheinen die Beziehungen zwischen dem Stecher und dem Meister der qualitätvollen und merkwürdigen Tafel aus Berg-
heim bei Colmar (Kat. 1925 d. Colmarer Unterlindenmuseums Nr. 36), die neben der Johannispredigt wiederum den heiligen
Georg als Drachentöter zeigt. Sie wurde von Tietze, „Der junge Dürer", 1928, S. 296, zur Hälfte abgebildet und dabei der

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