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EVA KELL
Dies trat oft bereits bei der Durchführung der Munizipalwahlen zutage und setzte sich erst
recht während des Bestehens der Munizipalitäten fort, wenn die Dörfer wieder größtenteils
sich selber überlassen blieben. Die Dorfeliten, besonders die lutherischen Pfarrer, traten
häufig mit maßgeblichem Einfluß auf die Meinungsbildung der Kommunen hervor.
In der leiningenschen Exklave Bechtheim nahe Worms wirkten als innerörtliche Faktoren
auf die Munizipalisierung zum einen die Aktivitäten zweier Patrioten, des leiningenschen
Amtmanns Susemihl und des lutherischen Pfarrers Christoph Heres23. Zum anderen kam es
zu einer Fraktionierung in mehrere verschiedene Dorfparteien, wobei sich eine einfache
Grenzlinie zwischen Patrioten und Revolutionsgegnern nicht ziehen ließ.
Bechtheim war bereits lange vor der Revolution durch schwelende und offene Auseinan-
dersetzungen sowohl innerhalb des Dorfes als auch gegenüber der fürstlichen Herrschaft
sowie zuletzt gegenüber dem herrschaftlichen Lokalbeamten Susemihl geprägt. In allen
Konflikten spielten soziale und wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel die Verteilung der
Allmende, rückständige herrschaftliche Abgaben oder Mißwirtschaft des leiningenschen
Amtmannes, eine Rolle24. An dieser Konstellation änderte sich auch unter der Munizipalitäts-
verwaltung nichts. Heres und Susemihl nahmen Kontakte zu den Klubs in Mainz und Worms
auf25, verknüpften diese jedoch mit einem einträglichen Getreidehandel, der einerseits Neid
und Mißgunst hervorrief, zumal sich einige Bauern übervorteilt fühlten, und andererseits
geduldet wurde, da Bechtheim deshalb keine Frondfuhren für die Besatzung leisten mußte26.
Andere nahmen Anstoß daran, daß ihr Pfarrer aus Geschäftsgründen mit Juden verkehre und
seine geistlichen Pflichten vernachlässige27. Nicht zuletzt gab es auch Unstimmigkeiten
zwischen den Mitgliedern des alten Dorfgerichts und Bürgern, die die Munizipalregierung als
23 Vgl. LA Speyer X55, Nr. 62 f. 220/221. Heres war als Famulus C. F. Bahrdts, der von 1776 bis
1779 in Heidesheim ein Philanthropin leitete, ins Fürstentum Leiningen gekommen. Vgl.
G. Biundo, Die evangelischen Geistlichen der Pfalz seit der Reformation (GenealLdG 15), Neu-
stadt 1968, Nr. 2090; LA Speyer X55, Nr. 62 f. 75/76. Susemihl war langjähriger leiningenscher
Beamter in Bechtheim und stammte aus Heidesheim. Heres und Susemihl hatten beide in Gießen
studiert.
24 Vgl. A. Eckhardt, Die Bechtheimer Dorfordnung aus dem Jahr 1432 und der Bauernaufstand
zu Worms 1431/32, in: ArchHessG NF 33 (1975) S. 55-75; FLA Amorbach A6/4/1/3-4: Revolte in
Bechtheim, 1713-1725; FLA Amorbach A5/55/43: Mißstände in Bechtheim und Vorschläge zur
Reform der Dorfverfassung, 17.2. 1791; Verordnung zur Reform der Dorfverfassung, 19.2.1791;
FLA Amorbach A6/11/11: Verordnung über die Allmendeteilung in Bechtheim, 26.3.1791
(identisch mit LA Speyer U257, Nr. 429); FLA Amorbach A5/55/43: Berechnung aller ständigen
Abgaben in Bechtheim, 1791; allgemein zur Veränderung des bäuerlichen Widerstandswillens:
V.Press, Soziale Folgen des Dreißigjährigen Krieges, in: W.Schulze (Hg.), Ständische Gesell-
schaft und soziale Mobilität (SchrrHistKollegKoll 12), München 1988, S. 253-256.
25 FLA Amorbach A5/33/26: Zeugenaussagen von Georg Menger und Dieter Becker, 5. 4.1793;
FLA Amorbach A 5/35/26: Votum in der Untersuchungssache gegen Heres und Susemihl, R1793.
26 FLA Amorbach A 6/30/4: Zeugen-Rotulus, Zeugenaussage Valentin Ackermanns (Schultheiß)
und Heinrich Baums (Gerichtsmann), ohne Datum.
27 Vgl. FLA Amorbach A 6/30/4: Zeugenvernahme in Bechtheim, Ende 1793; vgl. Zeugen-
Rotulus. Die Katholiken des konfessionell geteilten Ortes hielten sich aus den Angelegenheiten des
Pfarrers Heres heraus.
EVA KELL
Dies trat oft bereits bei der Durchführung der Munizipalwahlen zutage und setzte sich erst
recht während des Bestehens der Munizipalitäten fort, wenn die Dörfer wieder größtenteils
sich selber überlassen blieben. Die Dorfeliten, besonders die lutherischen Pfarrer, traten
häufig mit maßgeblichem Einfluß auf die Meinungsbildung der Kommunen hervor.
In der leiningenschen Exklave Bechtheim nahe Worms wirkten als innerörtliche Faktoren
auf die Munizipalisierung zum einen die Aktivitäten zweier Patrioten, des leiningenschen
Amtmanns Susemihl und des lutherischen Pfarrers Christoph Heres23. Zum anderen kam es
zu einer Fraktionierung in mehrere verschiedene Dorfparteien, wobei sich eine einfache
Grenzlinie zwischen Patrioten und Revolutionsgegnern nicht ziehen ließ.
Bechtheim war bereits lange vor der Revolution durch schwelende und offene Auseinan-
dersetzungen sowohl innerhalb des Dorfes als auch gegenüber der fürstlichen Herrschaft
sowie zuletzt gegenüber dem herrschaftlichen Lokalbeamten Susemihl geprägt. In allen
Konflikten spielten soziale und wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel die Verteilung der
Allmende, rückständige herrschaftliche Abgaben oder Mißwirtschaft des leiningenschen
Amtmannes, eine Rolle24. An dieser Konstellation änderte sich auch unter der Munizipalitäts-
verwaltung nichts. Heres und Susemihl nahmen Kontakte zu den Klubs in Mainz und Worms
auf25, verknüpften diese jedoch mit einem einträglichen Getreidehandel, der einerseits Neid
und Mißgunst hervorrief, zumal sich einige Bauern übervorteilt fühlten, und andererseits
geduldet wurde, da Bechtheim deshalb keine Frondfuhren für die Besatzung leisten mußte26.
Andere nahmen Anstoß daran, daß ihr Pfarrer aus Geschäftsgründen mit Juden verkehre und
seine geistlichen Pflichten vernachlässige27. Nicht zuletzt gab es auch Unstimmigkeiten
zwischen den Mitgliedern des alten Dorfgerichts und Bürgern, die die Munizipalregierung als
23 Vgl. LA Speyer X55, Nr. 62 f. 220/221. Heres war als Famulus C. F. Bahrdts, der von 1776 bis
1779 in Heidesheim ein Philanthropin leitete, ins Fürstentum Leiningen gekommen. Vgl.
G. Biundo, Die evangelischen Geistlichen der Pfalz seit der Reformation (GenealLdG 15), Neu-
stadt 1968, Nr. 2090; LA Speyer X55, Nr. 62 f. 75/76. Susemihl war langjähriger leiningenscher
Beamter in Bechtheim und stammte aus Heidesheim. Heres und Susemihl hatten beide in Gießen
studiert.
24 Vgl. A. Eckhardt, Die Bechtheimer Dorfordnung aus dem Jahr 1432 und der Bauernaufstand
zu Worms 1431/32, in: ArchHessG NF 33 (1975) S. 55-75; FLA Amorbach A6/4/1/3-4: Revolte in
Bechtheim, 1713-1725; FLA Amorbach A5/55/43: Mißstände in Bechtheim und Vorschläge zur
Reform der Dorfverfassung, 17.2. 1791; Verordnung zur Reform der Dorfverfassung, 19.2.1791;
FLA Amorbach A6/11/11: Verordnung über die Allmendeteilung in Bechtheim, 26.3.1791
(identisch mit LA Speyer U257, Nr. 429); FLA Amorbach A5/55/43: Berechnung aller ständigen
Abgaben in Bechtheim, 1791; allgemein zur Veränderung des bäuerlichen Widerstandswillens:
V.Press, Soziale Folgen des Dreißigjährigen Krieges, in: W.Schulze (Hg.), Ständische Gesell-
schaft und soziale Mobilität (SchrrHistKollegKoll 12), München 1988, S. 253-256.
25 FLA Amorbach A5/33/26: Zeugenaussagen von Georg Menger und Dieter Becker, 5. 4.1793;
FLA Amorbach A 5/35/26: Votum in der Untersuchungssache gegen Heres und Susemihl, R1793.
26 FLA Amorbach A 6/30/4: Zeugen-Rotulus, Zeugenaussage Valentin Ackermanns (Schultheiß)
und Heinrich Baums (Gerichtsmann), ohne Datum.
27 Vgl. FLA Amorbach A 6/30/4: Zeugenvernahme in Bechtheim, Ende 1793; vgl. Zeugen-
Rotulus. Die Katholiken des konfessionell geteilten Ortes hielten sich aus den Angelegenheiten des
Pfarrers Heres heraus.