Die Französische Revolution und die Emanzipation
der Juden im Elsaß und in Lothringen
VON J. FRIEDRICH BATTENBERG
I
Am 27. September 1791 verkündete die französische Nationalversammlung die folgende
Erklärung, die für die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der in den elsässischen und
lothringischen Provinzen ansässigen Judenschaft von weittragender Bedeutung werden sollte:
In Anbetracht dessen, daß die den Titel eines französischen Bürgers und den Genuß der
Rechte aktiver Bürger begründenden Voraussetzungen in der Verfassung festgelegt sind, daß
ferner jeder die erwähnten Voraussetzungen in sich vereinigende Mensch, soweit er den
Bürgereid geleistet und das Gelöbnis abgelegt hat, alle von der Verfassung auferlegten
Pflichten zu erfüllen, ein Anrecht auch auf alle von dieser gewährleisteten Freiheiten hat, setzt
die Nationalversammlung sämtliche in die früher ergangenen Dekrete in bezug auf die Juden
aufgenommenen Vertagungsbestimmungen, Klauseln und Ausnahmeverfügungen außer
Kraft, indem sie zugleich bestimmt, daß der von den Juden zu leistende Bürgereid als Verzicht
auf alle ehedem zu ihren Gunsten geltenden Privilegien und Sondergesetze zu betrachten sei
(comme une renonciation ä tous Privileges et exceptions introduits precedemment en leur
faveur)1.
Mit der Verkündung des Dekrets am 13.November 1791 durch König LudwigXVI.2
erlangte dieses allgemeine Verbindlichkeit für die staatlichen Behörden.
Unabhängig von seinem komplizierten Wortlaut, der eine einschränkende Interpretation
zuließ und in der Folgezeit auch provozieren sollte, und unabhängig davon, daß die Betonung
auf die Aberkennung etwaiger Sonderrechte gelegt wurde, weniger aber auf die Zuerkennung
eines neuen Status, entfaltete die zitierte Emanzipationserklärung bald eine europaweite
Wirkung. Mit welcher Begeisterung sie in der Judenschaft selbst aufgenommen und verbreitet
wurde, möge ein in der >Vossischen Zeitung< abgedrucktes Schreiben an einen Berliner
* Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Autor am 11. Mai 1990 vor der Arbeitsge-
meinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein in Karlsruhe gehalten hat (Protokoll Nr. 298).
1 Originaltext als Faksimile des ersten Drucks in der Reihe »La Revolution Franchise et l’Emanci-
pation des Juifs«, Paris 1968, 7 Nr. 11. Abdruck auch bei M.Maignial, La Question juive en
France en 1789, Paris 1903, S. 189; D. Feuerwerker, L’emancipation des Juifs en France de
l’Ancien Regime ä la fin du Second Empire, Paris 1976, S. 402; deutsche Übersetzung: J. Höxter,
Quellenbuch zur jüdischen Geschichte 5: Neueste Zeit, 1789 bis zur Gegenwart, Frankfurt 1927
(ND Zürich 1983) S. 9 Nr. 6.
2 La Revolution 7 (wie Anm. 1) Nr. 11; Feuerwerker (wie Anm. 1) S. 403.
der Juden im Elsaß und in Lothringen
VON J. FRIEDRICH BATTENBERG
I
Am 27. September 1791 verkündete die französische Nationalversammlung die folgende
Erklärung, die für die rechtliche und gesellschaftliche Stellung der in den elsässischen und
lothringischen Provinzen ansässigen Judenschaft von weittragender Bedeutung werden sollte:
In Anbetracht dessen, daß die den Titel eines französischen Bürgers und den Genuß der
Rechte aktiver Bürger begründenden Voraussetzungen in der Verfassung festgelegt sind, daß
ferner jeder die erwähnten Voraussetzungen in sich vereinigende Mensch, soweit er den
Bürgereid geleistet und das Gelöbnis abgelegt hat, alle von der Verfassung auferlegten
Pflichten zu erfüllen, ein Anrecht auch auf alle von dieser gewährleisteten Freiheiten hat, setzt
die Nationalversammlung sämtliche in die früher ergangenen Dekrete in bezug auf die Juden
aufgenommenen Vertagungsbestimmungen, Klauseln und Ausnahmeverfügungen außer
Kraft, indem sie zugleich bestimmt, daß der von den Juden zu leistende Bürgereid als Verzicht
auf alle ehedem zu ihren Gunsten geltenden Privilegien und Sondergesetze zu betrachten sei
(comme une renonciation ä tous Privileges et exceptions introduits precedemment en leur
faveur)1.
Mit der Verkündung des Dekrets am 13.November 1791 durch König LudwigXVI.2
erlangte dieses allgemeine Verbindlichkeit für die staatlichen Behörden.
Unabhängig von seinem komplizierten Wortlaut, der eine einschränkende Interpretation
zuließ und in der Folgezeit auch provozieren sollte, und unabhängig davon, daß die Betonung
auf die Aberkennung etwaiger Sonderrechte gelegt wurde, weniger aber auf die Zuerkennung
eines neuen Status, entfaltete die zitierte Emanzipationserklärung bald eine europaweite
Wirkung. Mit welcher Begeisterung sie in der Judenschaft selbst aufgenommen und verbreitet
wurde, möge ein in der >Vossischen Zeitung< abgedrucktes Schreiben an einen Berliner
* Der vorliegende Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Autor am 11. Mai 1990 vor der Arbeitsge-
meinschaft für geschichtliche Landeskunde am Oberrhein in Karlsruhe gehalten hat (Protokoll Nr. 298).
1 Originaltext als Faksimile des ersten Drucks in der Reihe »La Revolution Franchise et l’Emanci-
pation des Juifs«, Paris 1968, 7 Nr. 11. Abdruck auch bei M.Maignial, La Question juive en
France en 1789, Paris 1903, S. 189; D. Feuerwerker, L’emancipation des Juifs en France de
l’Ancien Regime ä la fin du Second Empire, Paris 1976, S. 402; deutsche Übersetzung: J. Höxter,
Quellenbuch zur jüdischen Geschichte 5: Neueste Zeit, 1789 bis zur Gegenwart, Frankfurt 1927
(ND Zürich 1983) S. 9 Nr. 6.
2 La Revolution 7 (wie Anm. 1) Nr. 11; Feuerwerker (wie Anm. 1) S. 403.