Von Mainz nach Hambach?
Kontinuität und Wandel im Lebensweg
rheinischer und pfälzischer Jakobiner
VON FRANZ DUMONT
I
Daß Traditionen keine Domäne von Konservativen sind, das ist seit Heinemanns berühmtem
Diktum von 19701 Allgemeingut historisch-politischer Pädagogik. Auch ist mittlerweile klar
geworden, daß der Begriff »revolutionäre Kontinuität« nicht unbedingt eine contradictio in
adiecto ist, daß aber andererseits oft die Gefahr besteht, mit einer Überdehnung des Kontinui-
tätsbegriffs historischen Wandel, Einschnitte und Zäsuren »einzuebnen«2. Denn blickt man
nur auf Kontinuitäten, dann vernachlässigt man die Polarität von beharrenden (sich freilich
auch allmählich verändernden) Strukturen und den Phasen raschen, wenn nicht plötzlichen
oder gar gewaltsamen manifesten Wandels. Andererseits enthält der laut proklamierte Wechsel
oft erstaunlich viel Kontinuität: Das gilt auch für Revolutionen, deren Träger bisweilen mehr
fortführen (oder vollenden), als ihnen bewußt und lieb ist.
Unter diesen Prämissen stehen die folgenden Ausführungen, deren Thema die langfristi-
gen, eher indirekten Nachwirkungen der Französischen Revolution in der Pfalz und in
Rheinhessen sind, Nachwirkungen, wie sie in Lebensläufen zu erkennen sind. Dabei markie-
ren die Mainzer Republik und das Hambacher Fest nur die bekanntesten Ereignisse der
rheinhessisch-pfälzischen Geschichte zwischen Französischer Revolution und deutschem
1 Am 13.2.1970 hatte Gustav Heinemann bei der Bremer Schaffermahlzeit unter anderem gesagt:
»Traditionen sind [...] keineswegs das Privileg konservativer Kräfte. Noch weniger gehören sie in
die alleinige Erbpacht von Reaktionären, obgleich diese am lautesten von ihnen reden [...].
Glücklicherweise hat es auch in Deutschland lange vor der Revolution von 1848 nicht wenige
freiheitlich und sozial gesinnte Männer und Frauen gegeben, auch ganze Gruppen und Stände, die
sich mit der Bevormundung der Herrschenden nicht abfinden wollten [...]. Einer demokratischen
Gesellschaft steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts
anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in die Schranken
verwiesen werden. So haben die Sieger Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-
demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher anders schreibt.« Zitiert nach
G. W. Heinemann, Präsidiale Reden, Einleitung von Th. Eschenburg, Frankfurt am Main 1975,
S.129ff.
2 Eine auch nur annähernd exakte Begriffsbestimmung von Kontinuität und Diskontinuität ist in
der Historie - zumindest der neueren - noch immer ein Desiderat; daran hat sich auch im
vergangenen Jahrzehnt leider nichts geändert. Vgl. F. Dumont, Mainzer Republik und Donners-
bergdepartement. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zugleich ein Beitrag zum Problem der
historischen Kontinuität, in: A. Gerlich (Hg.), Vom Alten Reich zu neuer Staatlichkeit. Alzeyer
Kolloquium 1979 (GeschichtlLdKde 22), Wiesbaden 1982, S. 45-75, besonders S. 64-72.
Kontinuität und Wandel im Lebensweg
rheinischer und pfälzischer Jakobiner
VON FRANZ DUMONT
I
Daß Traditionen keine Domäne von Konservativen sind, das ist seit Heinemanns berühmtem
Diktum von 19701 Allgemeingut historisch-politischer Pädagogik. Auch ist mittlerweile klar
geworden, daß der Begriff »revolutionäre Kontinuität« nicht unbedingt eine contradictio in
adiecto ist, daß aber andererseits oft die Gefahr besteht, mit einer Überdehnung des Kontinui-
tätsbegriffs historischen Wandel, Einschnitte und Zäsuren »einzuebnen«2. Denn blickt man
nur auf Kontinuitäten, dann vernachlässigt man die Polarität von beharrenden (sich freilich
auch allmählich verändernden) Strukturen und den Phasen raschen, wenn nicht plötzlichen
oder gar gewaltsamen manifesten Wandels. Andererseits enthält der laut proklamierte Wechsel
oft erstaunlich viel Kontinuität: Das gilt auch für Revolutionen, deren Träger bisweilen mehr
fortführen (oder vollenden), als ihnen bewußt und lieb ist.
Unter diesen Prämissen stehen die folgenden Ausführungen, deren Thema die langfristi-
gen, eher indirekten Nachwirkungen der Französischen Revolution in der Pfalz und in
Rheinhessen sind, Nachwirkungen, wie sie in Lebensläufen zu erkennen sind. Dabei markie-
ren die Mainzer Republik und das Hambacher Fest nur die bekanntesten Ereignisse der
rheinhessisch-pfälzischen Geschichte zwischen Französischer Revolution und deutschem
1 Am 13.2.1970 hatte Gustav Heinemann bei der Bremer Schaffermahlzeit unter anderem gesagt:
»Traditionen sind [...] keineswegs das Privileg konservativer Kräfte. Noch weniger gehören sie in
die alleinige Erbpacht von Reaktionären, obgleich diese am lautesten von ihnen reden [...].
Glücklicherweise hat es auch in Deutschland lange vor der Revolution von 1848 nicht wenige
freiheitlich und sozial gesinnte Männer und Frauen gegeben, auch ganze Gruppen und Stände, die
sich mit der Bevormundung der Herrschenden nicht abfinden wollten [...]. Einer demokratischen
Gesellschaft steht es schlecht zu Gesicht, wenn sie auch heute noch in aufständischen Bauern nichts
anderes als meuternde Rotten sieht, die von der Obrigkeit schnell gezähmt und in die Schranken
verwiesen werden. So haben die Sieger Geschichte geschrieben. Es ist Zeit, daß ein freiheitlich-
demokratisches Deutschland unsere Geschichte bis in die Schulbücher anders schreibt.« Zitiert nach
G. W. Heinemann, Präsidiale Reden, Einleitung von Th. Eschenburg, Frankfurt am Main 1975,
S.129ff.
2 Eine auch nur annähernd exakte Begriffsbestimmung von Kontinuität und Diskontinuität ist in
der Historie - zumindest der neueren - noch immer ein Desiderat; daran hat sich auch im
vergangenen Jahrzehnt leider nichts geändert. Vgl. F. Dumont, Mainzer Republik und Donners-
bergdepartement. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Zugleich ein Beitrag zum Problem der
historischen Kontinuität, in: A. Gerlich (Hg.), Vom Alten Reich zu neuer Staatlichkeit. Alzeyer
Kolloquium 1979 (GeschichtlLdKde 22), Wiesbaden 1982, S. 45-75, besonders S. 64-72.