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Omnibus — 1932

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Marcu, Valeriu: Bismarck
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https://doi.org/10.11588/diglit.62261#0039
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gegen das liberale Bürgertum suchte Bismarck vor allem die Unterstützung der werdenden
proletarischen Partei.
Wenn Revolutionäre mit Diplomaten diplomatisieren, so zappeln sie nach kurzer
Zeit in den Netzen der Staatskanzleien. Denn da unterhalten sich nicht zwei gleich
Starke, sondern es verhandeln die Vertreter einer bestehenden Organisation in aller
Ruhe und Gelassenheit mit den Vertretern ihrer eigenen Negation. Lassalle hatte in
seinen Verhandlungen mit Bismarck den Kürzeren gezogen; Marx reagierte auf die
Einladungen so, daß er sie nicht einmal einer Antwort würdigte.
Bismarck sollte in Deutschland das durchführen, was eigentlich die Aufgabe der
deutschen Bourgeoisie gewesen wäre.
„Unsere Hoffnung war“, schreibt J. B. von Schweitzer, „daß die Nation in ihrer
eigenen Sache die Initiative ergreifen würde, so daß sie durch eine deutsche Revolution
ein nationales Deutschland schaffen werde.“ Die Bourgeoisie, die Bismarck so gefeiert
hat, das liberale Bürgertum, die Fortschrittler haben gegen Bismarck gerade in den
Momenten opponiert, in denen er ihre Mission durchführte, haben ihm gerade dort
Schwierigkeiten gemacht, wo sie ihm keine hätten machen sollen; sie haben überhaupt
keinen besonderen politischen Anteil an der Begründung der Reichseinheit. Keine Bour-
geoisie des Kontinents hat eine so jammervolle Rolle in der Geschichte gespielt wie die
deutsche. Ihre Aufgabe wurde im Jahre 1810 und vor 1870 von den Junkern erfüllt.
Jede Stunde und jeden Augenblick wußte sie mit Instinkt zu verpassen, und ihr erster
Akt nach der eigenen Geburt war die Angst vor der Welt. In den 48er Jahren hat sie
gezittert. Bismarck wurde von ihr, gerade als er die Kriege der Einheit vorbereitete,
am wütendsten bekämpft. Und als das deutsche Kaiserreich in Versailles proklamiert
wurde, da schickte der Reichstag in Konterbande zwanzig seiner Mitglieder nach Ver-
sailles, um zu gratulieren. Diese zwanzig Männlein wurden von einem berühmten Spitzel
empfangen, und alle Junker und Generäle machten sich über die Herren aus Berlin
lustig. Die Situation war so klar und so humorvoll, daß selbst dem König von Preußen
beim Anblick der Volksvertreter die einzigen guten Witze seines Lebens einfielen: Ei, ei,
ich bin den Herren für die große Ehre dankbar, meinte der Schalk auf dem Throne
seiner Väter. Stieber, der Polizeimeister, erzählte später von der Mühe, die es ihn ge-
kostet habe, die Junker davon zurückzuhalten, die Herren des Reichstags am Barte zu
zupfen. So hat das Junkertum der Nation mehr als die Bourgeoisie gegeben. Denn einer
der Ihren schuf das Reich, schuf das allgemeine Wahlrecht, schuf die bürgerliche Demo-
kratie, die für eine moderne Ökonomie, für ein modernes Staatsgebilde Voraussetzung
ist. Das, was in Frankreich und England durch den Kampf des dritten Standes in
heroischen Konvulsionen, in großen Auseinandersetzungen als großes Erlebnis der Massen,
als Revolution von unten geschaffen wurde, das geschah in Deutschland mehr oder
weniger im Rücken aller politischen Parteien und der Krone durch Bismarcks Genialität.

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