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Omnibus — 1932

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Borach, Georges: Gespräch mit James Joyce
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https://doi.org/10.11588/diglit.62261#0143
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Joyce in Zürich 1930

die

auf
der
der

dieses Thema? Gegenwärtig „al mezzo del’ camin“, ist
menschlichste der Weltliteratur: Odysseus wollte nicht
offizielle Kriegsgrund, Ausbreitung der Kultur Hellas’,

hatte, sah ich ein, daß
zu schreiben.
kam ich immer wieder
der Stoff des Odysseus

Damals, während der Kriegsjahre, arbeitete Joyce in Zürich
an seinem „Ulysses“. Oft saß man abends mit ihm im „Pfauen“,
trank hellgoldenen „Fendant“, jenen rassigen Walliserwein —
candide et effronte nennt ihn Colette —, unterhielt sich über
die Kriegsereignisse, Literatur, Musik, und über das im Ent-
stehen begriffene Werk. Viele dieser Gespräche habe ich auf-
gezeichnet. Einige mögen hier stehen.

;efähr die Hälfte des „Portrait“
Odyssee die Fortsetzung sein mußte, und ich begann

GESPRÄCHE
MIT JAMES JOyCE
VON GEORGES BORACH (ZÜRICH)

Zürich, 1. August 1917
J. J. meint:
Das schönste, alles umfassende Thema ist die Odyssee. Es ist
;rößer, menschlicher als Hamlet, Don Quichote, Dante, Faust.
Das Jungwerden des alten Faust berührt mich unangenehm. Dante
ermüdet rasch, es ist, wie wenn man in die Sonne blicken würde. Die schönsten, menschlichsten
Züge enthält die Odyssee. Ich war zwölf Jahre alt, als wir in der Schule den Trojanischen Krieg
behandelten, nur die Odyssee blieb mir haften. Ich will aufrichtig sein, mit zwölf Jahren gefiel
mir am Ulysses das Mystische. Als ich „Dubliners“ schrieb, wollte ich zuerst den Titel „Ulysses
in Dublin“ wählen, kam aber davon ab. In Rom, als ich ung<
vollendet
„Ulysses“
Warum
für mich
nach Troja ziehen, er wußte, daß
nur Vorwand war für die griechischen Kaufleute, die neue Absatzgebiete suchten. Als die
Aushebungsoffiziere kamen, war er gerade beim Pflügen. Er stellte sich irrsinnig. Sein zwei-
jähriges Söhnchen legte man ihm darauf in die Furche. Vor dem Kinde hält er mit dem Pfluge.
Beachten Sie die Schönheit der Motive: der einzige Mann auf Hellas, der gegen den Krieg ist,
und der Vater. Vor Troja verbluten die Helden umsonst. Man will abziehen. Odysseus ist
dagegen. Die List des hölzernen Pferdes. Nach Troja spricht man nicht mehr von Achilleus,
Menelaos, Agamemnon. Nur einer ist nicht erschöpft, seine Heldenbahn hat kaum begonnen:
Odysseus. Dann das Motiv der Irrfahrt. Szylla und Charybdis, welch herrliches Gleichnis!
Odysseus ist auch ein großer Musiker, er will und muß hören, er läßt sich am Mastbaum binden.
Motiv des Künstlers, der lieber sein Leben opfern will, als zu verzichten. Dann der köstliche
Humor des Polyphemos. „Olus“ ist mein Name. Auf Naxos der Fünfzigjährige, womöglich
kahlköpfig, mit Ariadne, der kaum siebzehnjährigen Jungfrau. Welches feine Motiv. Und die
Rückkehr, wie tief menschlich. Vergessen Sie nicht den Zug der Großmut bei der Begegnung
mit Ajax in der Unterwelt und noch viele andere Schönheiten. Ich fürchte mich fast, ein solches
Thema zu behandeln, es ist zu gewaltig.


Zürich, 15. November 1917. ....
J. J. erklärt:
Es gibt wohl kaum mehr als zwölf Urthemata in der Weltliteratur. Daneben eine Unmenge
Kombinationen derselben. „Tristan und Isolde“ ist ein solches Urthema. Richard Wagner hat
es immer abgewandelt, oft unbewußt, im „Lohengrin“, im „Tannhäuser“, und als er vermeinte,
etwas ganz Neues zu behandeln, schrieb er den „Parsifal“,
In den letzten zweihundert Jahren haben wir keinen großen Denker gehabt. Mein Ausspruch
ist gewagt, denn Kant ist inbegriffen. Alle großen Denker der letzten Jahrhunderte von Kant

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