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Koninklijke Nederlandse Oudheidkundige Bond [Hrsg.]
Oudheidkundig jaarboek — 3. Ser. 3.1923

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Glück, Gustav: Ein neugefundenes Gemaelde Jan van Scorels: (Ruth und Naemi)
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https://doi.org/10.11588/diglit.19960#0193
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EIN NEUGEFUNDENES GEMAELDE JAN VAN SCORELS.

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Empfindung, welche die frühere niederlandische Malerei ausgezeichnet hatte, auch
bei Jacob Cornelisz. schon erloschen ist, bleibt bei seiner in das modische Gewand
seiner Zeit gekleideten Magdalena nur mehr der Eindruck von Steifheit und
Unfreiheit übrig, wozu noch beitragt, daC die Gestalt sich von dem Hintergrund,
den eine bespannte Wand und ein Fenster mit einem Ausblick ins Freie bildet, nur
wenig abhebt, und daB sich die auch hier schon vorhandenen Renaissancemotive in
sehr aufierlicher Weise auf Nebendinge, wie ein Relief mit kampfenden Mannern
am Fenster und die Formen des goldenen Halsschmucks und des glasernen Salb-
gefafies der Heiligen, beschranken. Wie anders wirkt nun Scorels Darstellung
desselben Vorwurfs auf uns! Wir haben hier das Werk eines Künstlers vor uns,
der das Wesentliche von Raffaels reifem Stil nicht eigentlich nachahmt, sondern
vollkommen erfasst, und erkannt hat. Obwohl das Motiv im Grunde kein anderes
ist als das seines Lehrers Jacob Cornelisz., herrscht hier eine Freiheit der künst-
lerischen Mittel, die bisher in den Niederlanden etwas Unerhörtes gewesen ist.
In dem fein geschnittenen Köpfchen, das den Bliek dem Beschauer zuwendet, in
der bis zu den Knieen wiedergegebenen, in reiches Gewand gehüllten Gestalt, in
der Wendung des Körpers, in den rundlichen Formen der Umrisse zeigt sich ein
eldler Schwung, der ohne das Studium italienischer, zumal raffaelischer Kunstweise
nicht denkbar ist. Dazu sitzt diese Magdalena vor einer Landschaft, ja mehr noch,
als die Madonnen und die heilige Katharina Raffaels oder etwa die Schonen eines
Palma Vecchios, lebt sie i n der Landschaft.

Auch unsere Darstellung von Ruth und Naemi, die offenbar aus derselben
Schaffenszeit des Künstlers herrührt, zeigt ganz ahnliche Eigentümlichkeiten des
Stiles. Die Hauptfigur mit ihren feinen, denen der Magdalena verwandten Gesichts-
zügen und ihrer statuarischen Haltung, die der antiken Vorschrift des Stand- und
Spielbeins abgelauscht ist, und die sitzende Gestalt der Naemi sind auch hier mit
dem landschaftlichen Hintergrunde, aufs engste zu einer harmonischen Einheit
verbunden. Und noch mehr als bei den Italienern, die den landschaftlichen Hintergrund
oft mit Nebenszenen bevölkern, die mit der Hauptdarstellung nichts zu tun haben,
leben die kleinen Figürchen in und bei dem Kornfeld in der Landschaft und sind
von ihr untrennbar geworden. Ein Bildganzes ist hier erstanden, von einer Einheit-
lichkeit der Wirkung, wie sie die Niederlande vor jener Wandlung, die wir die
Anfange des Manierismus zu nennen pflegen, noch nicht gekannt haben.

GUSTAV GLUCK.
 
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