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Panofsky, Erwin; Saxl, Fritz
Dürers "Melencolia I": eine quellen- und typengeschichtliche Untersuchung — Studien der Bibliothek Warburg, Band 2: Teubner, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.31125#0063
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Die Florentiner Renaissance

Erde, berührt sie nicht, wie die gemeine Meinung ist, er liegt ihr nicht
bei — wohl aber betrachtet (oder beleuchtet?) er sie durch die bloßen
Strahlen seiner Gestirne, gewissermaßen seiner Augen, befruchtet sie,
indem er sie betrachtet, und erzeugt das Lebendige.“1) So sind denn
alle Wesen und Dinge der Welt in einer besonderen Weise gesättigt mit
dem „Pneuma“ der Gestirne, das seinerseits nur eine Differenzierung oder
Qualifizierung des „spiritus mundanus“, des Weltpneumas, ist, die Mus-
katnuß etwa trägt das Pneuma der Sonnenstrahlen in sich, der Pfeffer-
minz die vereinigten Pneumata der Sonne und des Jupiter 2)—■, und alle
die scheinbar so „natürlichen“ Wirkungen, die von den irdischen Din-
gen ausgehen, die Heilkraft der Medikamente, der mannigfache Einfluß
des Blumenduftes, die psychologische Wirkung der Farben, ja selbst
die Macht der Musik, sie alle sind in Wahrheit gar nicht diesen Dingen
selber zuzuschreiben, sondern sie kommen dadurch und nur dadurch
zustande, daß der Gebrauch bestimmter Stoffe, ja die Ausübung be-
stimmter Tätigkeiten uns, in Ficinos Sprache zu reden, denjenigen
Gestimen „exponiert“, mit deren Pneuma die betreffenden Stoffe ge-
sättig't sind, oder deren Natur die betreffende Tätigkeit „concinn“ ist:
„Quoniam vero coelum est harmonica ratione compositum moveturque
harmonice, . .. merito per harmoniam solam non solum homines, sed
inferiora haec omnia pro viribus ad capienda coelestia praeparantur.
Harmoniam vero capacem superiorum per septem rerum gradus in
superioribus distribuimus. Per imagines videlicet (ut putant) harmo-
nice constitutas. Permedicinas sua quadam consonantia temperatas.
Per vapores odoresque simili concinnitate confectos. Per cantus
Musicos atque sonos, ad quorum ordinem vimque referri gestus
corporis saltusque et tripudia volumus. Per imaginationis con-
ceptus motusque concinnos, per congruas rationis discursiones,
per tranquillas mentis contemplationes“.3)

Wenn also die Mediziner „heilen“, so treiben sie im Grunde schon

zu einer so gewaltigen geistesgeschichtlichen Bedeutung gelangt ist — diese
eigentümliche Verbindung eines urtümlich-magischen Analogie-Denkens mit einer
naturwissenschaftlich-kausalen Erklärung des Weltgeschehens, die auf eine (seit
der Spätantike nicht mehr ins Auge gefaßte) Möglichkeit hinwies, das Leben der
VVelt irn Sinne einer na t u r i mmane n ten Dynamik zu deuten. — So hat
denn gerade Ficino, der auf der einen Seite so gern mit der antik-mythologischen
Bedeutsamkeit der Sterndämonen spielt, zugleich auf diese dynamistische Ema-
ilationslehre das größte Gewicht gelegt (ist doch sein ganzes drittes Buch im
Aufgabe einzig ihr gewidmet) und den Gestirnen deutlicher als alle anderen die
Aufgabe zugewiesen, der irdischen Welt auf dem Vehikel ihrer Strahlen das kos-
mische Pneuma, clen ,,spiritus mundanus“, zuzuleiten. Zitate siehe im IV. Anhang.

1) Apologia (Opera p. 574).

2) De vita tripl. II, 13 (Opera p. 519): weiteres im III. Buche (Anhang IV).

3) De vita tripl. III, 22 (Opera 564): (vollständig zitiert im IV. Anhang),
 
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