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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 7 (15. Juli 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0050
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„Immer Fleisch zu essen," begann der Vater in belehrendem
Tone, „ist nicht gut für den jungen Menschen. Das allzu üppige
Essen mästet den Körper und erstickt die ersten Keime nnd Triebe
des Geistes. So findet man denn anch vielfach, daß die Kinder
reicher Leute dumm und faul sind. Das magere Essen hingegen
läßt dem Geiste Gelegenheit, sich zu entwickeln, seine Kräfte zu
entfalten. Daher ist auch die Erscheinung zu erklären, daß aus
den niedrigsten Ständen oft die bedeutendsten Männer hervor-
gehen. Darum tröste Dich und sei im Gegenteil froh, daß Du
nicht immer Fleisch bekommst!"
Der mürrische Gottfried war offenbar der besondere Liebling
des Vaters, dem gegenüber er seine sonstige Strenge nicht zur
Anwendung brachte. Es mochte dieses daher kommen, daß Gott-
fried äußerlich sehr viel Aehnlichkeit mit ihm hatte.
„Warum behandelst Du denn diesen ungezogenen Bengel
so glimpflich?" brach jetzt die Mutter mit einer gewissen Leiden-
schaftlichkeit hervor. „Jedes andere von Deinen Kindern Hütte
nach solchen Ungezogenheiten schon lange Deine Rute fühlen
müssen. Nun aber sage ich Dir", wendete sie sich an Gottfried,
„wenn Dir das Essen nicht gefällt, so entferne Dich vorn Tische.
Erwarte aber nicht, daß Du deu Tag über auch nur einen
Bissen bekommen wirst!"
Die gute Frau hatte offenbar allen Mut zusammen-
genommen, um vor ihrem Eheherrn diese längste Rede ihres
Lebens zu halten. Sie hatte sich förmlich in einen gewissen
Zorn hineingesprochen; ihre bleichen Wangen Zeigten eine leise
schimmernde Röte. Ihre Worte machten denn anch ans den
kleinen Feinschmecker einen gewaltigen Eindruck. Er uahm den
Löffel zur Hand und begann Zu essen, anfangs noch etwas
widerwillig und verdrossen; doch je öfter er den Löffel zum
Munde führte, desto mehr schien seine Lust zu wachsen, und
bald aß er mit seinen Geschwistern um die Wette. Kurz darauf
war die Schüssel geleert. Der kleine Vorbeter sprach das Schluß-
gebet, worauf sich die Jugeud und die Frau aus dem Zimmer
entfernte, während der Schulmeister Zurückblieb nnd sich auf die
nm den Ofen herumlaufende Holzbank legte, nm bis zum Be-
giune der Nachmittagsschule uoch ein wenig Zu ruhen.
tl.
Der Schulmeister Karl Henrich Röhn war eigentlich ein
Kur-Pfälzischer. Er war 12 Jahre vorher in das Pfalz-Zwei-
brückische gekommen und hatte die evangelisch-reformierte Schul-
stelle in dem Stüdchen K. nur erhalten, weil dieselbe schwach
besoldet war und kein Einheimischer sich gemeldet hatte. Er
war aber froh, daß er mit seinem Weibe, welche ihm bis dahin
eine Tochter geschenkt hatte, ein Unterkommen fand. Ursprünglich
war er ehrsamer Schneider gewesen. Da aber das alte Sprich-
wort : „Handwerk hat einen goldenen Boden" an ihm znm
Schelmen geworden war, indem er trotz alles Fleißes und trotz
des besten Willens am Hnngertnche hatte nagen müssen, so hatte
er sich entschlossen, die Nadel in die Ecke zu werfen und das
Schulmeisterbaculum Zu ergreifen. Das ging bei ihm um so
leichter, als er von Natnr aufgeweckt war und zudem bei seinem
Paten, einem erfahrenen Pädagogen, in die Geheimnisse des
Handwerks unentgeltlich eingeweiht werden konnte. Als er feine
„Lehrzeit" bestanden hatte, eröffnete sich ihm jene Gelegenheit,
seine erworbenen Kenntnisse zu erproben und zu verwerten.
Bald allerdings mußte er sich sagen, daß der Tausch kein ganz
glücklicher war. Hatte ihn vorher die Nadel kaum vor dem

Hungertode zu bewahren vermocht, so mußte er jetzt merken,
daß auch die neue Stellung ihm kaum das Notdürftigste eintrug.
Dazu kam noch der Aerger, der bei seiner ungemein großen
Lebhaftigkeit oftmals gefährliche Dimensionen anzunehmrn drohte.
Die Besoldung war anfangs geradezu erbärmlich. Er
erhielt jährlich sechs Malter Korn und IN/? Gulden, sowie das
Schulgeld, das aber bei der teuern Zeit und bei der allgemeinen
Armut der Bürgerschaft kaum zur Hälfte einzugehen pflegte.
Damit konnte er weit springen. Doch mit der Zeit brachte Li-
es durch verschiedene Bittgesuche soweit, daß er 10 Malter Korn
und 30 Gulden erhielt und daß das Schulgeld durch „Amts-
hülse" eingetrieben wurde. Dazu kam noch, daß seine älteste
Tochter Lisbeth, sobald sie herangcwachsen war, durch ihrer
Hände Geschicklichkeit — sie war eine fleißige, überall gesuchte
Näherin geworden — nicht weniges Zur Erhaltung der Familie
beitrug.
War so sein Einkommen anch notdürftig, so reichte es
doch hin, bei eingeschränktem Leben den bösen Hunger fernzu-
halten.
Mit feinem Kollegen, dem evangelisch-lutlerischen Schul-
meister Bolz lebte er in Feindschaft. Derselbe drohte ihm
nämlich, sein Einkumm en zu verkürzen und ihn in seinem schweren
Dienste Zu behinde ru. Er ging von Haus zu Haus und unter-
richtete reformierte Kinder oder nahm solche geradezu in seine
Schule auf. Dadurch entstand natürlich große Konfusion. Er
nahm auch für das Vierteljahr von jedem Kinde nur 15 Kreuzer,
während Röhn fich 24 Kreuzer bezahlen ließ. Letzterer hatte
sich einige Wochen vorher mit einer Klage an das Ober-Kon-
sistorium gewendet; es war aber von dort noch keine Antwort
cingetroffen. Unterdessen fuhr sein Gegner in seiner einträg-
lichen „Proselytenmacherei" fort.
Die Wohnung des Schulmeisters Röhn lag im Schulhause,
zu ebener Erde, von dem Schulzimmer durch einen Gang ge-
trennt. Sie bestand ans einem größeren Zimmer, welches als
Wohn- nnd Familienzimmer nnd Zugleich als Schlafzimmer für
die Ehegatten diente, und aus zwei kleineren Schlafzimmern für
die Kinder, wozu dann noch eine kleine Küche kam. In dem
großen Zimmer wurde der größte Teil des Raumes von einem
mächtigen Ofen nnd von eineni breiten, hinter geblümten Vor-
hängen verborgenen Bette eingenommen. Außer eineni Tische
befanden sich noch einige Stühle — darunter ein alter Lehn-
sessel — und eine um den Ofen hernmlanfende Holzbank in
dem Raum. Das Kostbarste darin aber war die „Bibliothek"
des Hausherrn. An einer Wand neben dem Eingänge war ein
von ihm selbst Zusammengenagelter Bücherrahmen befestigt,
welcher bestimmt war, seine Schütze anfzunehmen. Da sah man
eine Auswahl der Gedichte von Hans Sachs, Opitz und Gryphins,
sodann Murners Narrenbeschwörung, Brants Narrenschiff und
Rollenhagens Froschmenselcr. Anch einige Volksbücher waren
da zu bemerken: der Eulenspiegel, das Lalenbuch und das
schreckliche Leben und Ende des großen Schwarzkünstlers Faust.
Für die Audacht war ebenfalls gesorgt: außer einer Sammlung
geistlicher Lieder von Friedrich von Spee und Angelus Silesius
besaß er eiue Bibelübersetzung von Luther, einen Katechismus
und ein Gesangbuch. Diese Bücher hatte er in seinen Muße-
stnndcn wohl schon zu Dutzendeu Malen gelesen; er fing eben
immer wieder von vorne an und wußte so vieles auswendig.
Auch seine Tochter Lisbeth war, besonders früher, wo sie noch
nicht an den Familiensorgcn mitzutragen hatte, häufig hinter
die ehrwürdigen Bände gekommen und hatte eifrig darin ge-
 
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