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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 9 (15. September 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0067
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—6
Ruhe herrschte in der kleinen Wohnung für Denjenigen,
welcher etwa außen vorbeiging: er vernahm keinen Laut, der
aus dem Innern gedrungen wäre. Doch herrschte wohl auch
Ruhe iu den Herzen der Bewohner?
Dort, in dem kleinen Nebenzimmer sitzt, noch vollständig
angekleidet, aus ihrem einfachen Lagerbett ein bleiches Mädchen.
Die Thränen rinnen unaufhaltsam über ihre blassen Wangen,
sie windet ihre auf den Knieen verschränkten Hände, wie um den
Schinerz, der aus dem Innern heraufdrüngt, niederzuhalten und
jeden lauten Ton der Klage zu unterdrücken. Das kleine Fenster,
welches auf ein Gärtchen geht, ist geöffnet und läßt die herrliche
Nachtluft einziehen in das dunkle Gelaß. Am Hellen klaren
Himmel leuchtet der Vollmond; er fchaut hinein in das Kämmer-
lein auf das bleiche Müdchenantlitz, nicht verwundert, o nein!
er hat schon viele Unglückliche gesehen; er verzieht nur ein
wenig das Gesicht, als wolle er sagen: „Ein elendes Menschen-
kind mehr."
Draußen aber in dem Gärtchen entfaltete sich die ganze
Pracht der herrlichen Sommernacht. Balsamische Düfte durch-
wallen den kleinen Raum, aus den Jasmin-, Flieder- und
Rosenbüschen strömen betäubende Wohlgerüche. Im nahen Ge-
büsch läßt eine Nachtigall zu Herzen dringende Töne hören und
setzt hie und da ab, als wolle sie auf das Echo lauschen oder
aufmerken, ob sie entzückte Ausrufe über ihren herrlichen Gesang
vernehme. Und in diesen Zwischenräumen rauscht es leise iu
den Zweigen: die Bäume und Sträucher scheinen sich zu unter-
halten über das Lied der Sängerin der Liebe.
So herrschte draußen stiller Friede, wohlthuende, durch
nichts gestörte Harmonie. Drinnen aber zuckte und wand sich
ein armes Menschenherz in unsäglicher Pein, thrünenumflorte
Augen starrten verzweiflungsvoll in's Dunkle, in eine düstere,
trauervolle Zukunft. Warum jene so unglücklich war? Sie
liebte, wurde wieder geliebt und — mußte entsagen.
S' ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie ewig neu;
Und wem sie just passieret
Dem bricht das Herz entzwei.
Wie es zu dieser Liebe kam? Auf die einfachste Weise
von der Welt; es ging, wie es bei vielen Tausenden geht.
' Sie waren Spielgenossen gewesen, die Lisbeth nämlich und
Karl Bolz, der Sohn des evangelisch-lutherischen Schulmeisters.
Als ihr Vater nach dem Städtchen kam, gab es in dem refor-
mierten Schulhause noch keine Wohnung für den Schulmeister;
diese mußte erst hergerichtet werden, und unterdessen wohnte
die Nöhn'sche Familie in dem lutherischen Schulhanse, wo ihnen
eine, allerdings sehr kleine, Wohnung eingeräumt wurde. So
waren Lisbeth und Karl Nachbarskinder geworden. Er war
Zwei Jahre älter als sie, sie spielten gemeinschaftlich, suchten zu-
sammen Blumen und Beeren, haschten miteinander nach bunten
Schmetterlingen. Und sie gewöhnten sich so sehr an einander,
daß sie den Tag als verloren ansahen, den sie nicht miteinander
verleben konnten. Nach einigen Jahren mußte der reformierte
Schulmeister das lutherische Schulhaus verlassen und seine neue
Wohnung im reformierten Schulhause beziehen. Das war ein
bitterer Tag für die beiden Kinder. Nun sollten sie sich nicht
mehr Tag für Tag, Stunde für Stunde sehen und sprechen
können! Sie kamen immer noch zusammen, aber natürlich nicht
mehr so oft wie vorher. Das aber war eine Freude, wenn sie
sich nach mehrtägigem Getrenntsein wieder sahen! Da schlugen

die kleinen Herzen in reiner Freude hoch ans, da jubelten die
Hellen Stimmen in unendlicher Lust!


Die Jahre schwanden dahin. Es kam die Zeit, wo sie
sich noch seltener sehen sollten. Beide waren konfirmiert. Er
kam auf ein Bureau, um als Schreiber den ganzen Tag zwischen
vier Wänden angestrengt thätig zu sein, sie kam zu einer Näherin,
um das Kleidermachen zu lernen. So trafen sie sich von jetzt
an nur ganz selten. Und wenn sie sich nach einiger Zeit wieder-
sahen, dann war es auch so ganz anders als vorhin: ihre
Herzen schlugen allerdings immer noch höher, wenn sie sich
trafen, aber ihre Stimmen erhoben sich nicht mehr, um dem
inneren Jubel, der die Herzen zu sprengen drohte, Luft zu
machen, sie wurden vielmehr auffallend still. Nur das Blut
kreiste schneller durch den Körper: sie errötete und erblaßte, er
vermeinte, die Brust werde ihm zusammengeschnürt, der Atem
benommen, und er spürte, daß es in seinen Augen eigentümlich
feucht wurde. So ging es Jahre lang. Nur auf Spazier-
gängen, welche Lisbeth mit ihrer Pathin, der schon Ziemlich be-
tagten Jungfrau Marie Guth, machte, begegneten sie sich hie
und da. Die alte Marie aber war eine.gescheite Person mit
scharfen Augen: aus dem Erröteu Lisbeths und den verlegenen
Blicken Karls merkte sie sofort, welches unsichtbare Band zwischen
den jungen Leuten geschlungen war. Sie war gut, herzensgut,
und nicht so, wie vielfach alte Jungfern sind, daß sie anderen
das Glück nicht gönnen, welches ihnen nicht zuteil geworden ist.
Nein, die gute Marie war anders; sie wußte wohl, wie glück-
liche Liebe in den Himmel erhebt, unglückliche aber in den
düstersten Abgrund schleudert. Vor dem traurigen, freudlosen
Dasein, wie es ihr ein tückisches Schicksal auferlegt hatte, wollte
sie ihren Liebling bewahren.
Früher hatte sie auch mit der Familie des evangelisch-
lutherischen Schulmeisters Freundschaft geschlossen. Sie war
allerdings schon lange nicht mehr dort gewesen. Nun machte sie
wieder einigemal Besuch dort und lud gelegentlich auch Karl
ein, sie zu besuchen. Karl kam einmal, zweimal, öfter. Die
Liebenden sahen sich und sprachen miteinander, allerdings nur
unter verlegenen Blicken und unter Erröten. Und einstmals, da
die Pathin ans einen Augenblick hinausgegangen war, da fanden
sich ihre Lippen im ersten, beseligenden Kusse, und ihre Augen
sagten sich, daß sie einander gehörten für jetzt und für alle Zeit.
Gesprochen wurde nichts. — Das war nicht gar lange vorher-
gewesen. Aber ein solcher seliger Augenblick kam nicht wieder.
Sie sahen, sie sprachen sich, doch nur in Anwesenheit der guten
Pathin. Abcr die erkannte, die durch das gegenseitige Geständnis
Zn voller Blüte entfaltete Liebe ist unersättlich. Und wie zwei
Liebende, so lange sie sich ihre Gefühle noch nicht gestanden
haben, Monden-, ja Jahre lang stumm und wortlos neben-
einander wandeln können, indem das Verlangen, welches sie zu
einander hinzieht und nach den: erlösenden Worte ringt, durch
die in beiden herrschende Schüchternheit und Schamhaftigkeit
immer wieder in den verschwiegenen Busen Zurückgedrängt wird,
so geizen diejenigen, deren Lippen sich im ersten Kusse gesunden
haben, nach jedem Augenblicke, wo sie sich ungestört sehen und
sprechen können. Wird ihnen aber die Gelegenheit hiezu abge-
schnitten, dann siechen sie dahin, verzehren sich in ungestillter
Sehnsucht.
So war es auch mit Karl und Lisbeth. Sie konnten sich
nur durch die Augen ihre Gefühle mitteilen. Dieses genügte
wohl anfangs, nicht aber auf die Dauer. Die Pathin nämlich
 
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