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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 11 (15. November 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0082
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Feuer!" stürmte er gegen das Schulhaus und schlug an die
Fenster von Röhn's Wohnung. Als sich auch nach mehrmaligem
heftigem Pochen nichts rührte, schlug er ein Fenster ein und
stieg in das Zimmer; ein dichter Qualm wälzte sich ihm ent-
gegen. Das Feuer, dessen Herd in den Schulzimmern war, hatte
also offenbar längere Zeit nötig gehabt, ehe es in Heller Flamme
ausgeloht war. Vorher hatte sich aus verschiedenen Säcken und
Lacken, in welche wohl der zündende Funke gefallen war —
tagsüber waren Arbeiter in den Schulzimmern beschäftigt ge-
wesen — ein dichter Rauch entwickelt, der durch die schlecht
schließenden Thüreu auf den Gang und von da in die Schul-
meisterswohnung gedrungen war. Karl tastete sich nach dem
Lager der Ehegatten und sand sie betäubt. Mit Aufbietung
aller seiner Kräfte schleppte er beide, welche in leichten Nacht-
gewändern waren, hinaus ins Freie, eilte sodann zurück in das
eine Nebenzimmer, ans welchem er die gleichfalls betäubten
Kinder rettete. Tie beiden älteren Geschwister erholten sich bald;
das jüngste Kind aber — die kleine Ursula — war in einem
bedenklichen Grade bewußtlos, so daß er es in ein Nachbarhaus
trug und den Wiederbelebungsversuchen einiger Franen überließ.
Inzwischen hatten sich viele Menschen angcsammelt. Das
Feuer hatte aber auch raseud schnell uni sich gegriffen: die Schul-
meisterswohnung stand in Hellen Flaminen. Man stellte Leitern
an, bildete zwei lange Menschenketten, durch welche mit Wasser
gefüllte Fenereimer an die Brandstelle kamen, während die
leeren wieder zurückgingen. Doch alle Mühe half nichts. Die
Löschvorrichtungen waren zu mangelhaft. So wütete denn das
zerstörende Element immer weiter.
Unterdessen kam Vater Nöhn zum Bewußtsein und kurz
darauf auch seine Frau. Letztere schaute sich zunächst um nach
den Ihren, und als sie ihren Mann und die Kinder lebend neben
sich sah, schien sie befriedigt. Doch plötzlich erweiterten sich ihre
Augen, sie schaute nach rechts und links, vorwärts und rück-
wärts, wie wenn sie etwas suchte und rief dann: „Wo ist
Ursula, meine kleine Tochter?" Die Zunüchststehenden schauten
sie und dann sich gegenseitig verlegen an: sie wußten ihr keine
Auskunft zu geben. Jetzt sprang sie aus und mit dem gellenden
Rufe „Ursula, armes, armes Kind!" stürmte sie gegen das
brennende Haus. Man wollte sie zurückhalten, doch mit tiber-
menschlicher Kraft drang sie vorwärts. Da im letzten Augen-
blicke, als sie schon ganz in die Nähe des Fckammenmeeres ge-
kommen war, rief von rückwärts eine laute männliche Stimme
— es war Karl Bolz —: „Hier ist die kleine Ursula, srisch
und gesund!" Die Mutter wendete sich um und wollte mit
einem Freudenschrei nach jener Stelle eilen; da — in demselben
Augenblicke stürzte das brennende Gebäude zusammen und ein
Stück von einem brennenden Sparren traf die arme Frau am
Hinterkopfe, so daß sie nach vorwärts stürzte. Ein hnndert-
. stimmiger Schreckensschrei ertönte. Man hob sie auf und trug
sie in das Hans der Parin. Dort waren ihre Angehörigen
jammernd und klagend um sie versammelt. Sie lebte uoch, doch
ihre Augenblicke waren gezählt. Es war ein herzzerreißender
Anblick. Der alte Schulmeister warf sich neben sie nieder, raufte
seiu Haar und „Ursula, Ursula, verlaß mich nicht!" rief er in
verzweifeltem Tone; dazu das Klagen und Weinen der Kinder,
welche aus der andern Seite der Sterbenden knieten. Diese
machte alle Anstrengungen, ihr Haupt zu erheben, die Lippen
bewegten sich krampfhaft: sie hatte noch etwas auf dem
Herzen, was sie sagen wollte, doch kein Laut kam hervor. Sie
atmete noch einigemale schwer auf, noch ein Zucken fuhr durch

deu ganzen Körper, die Augen wendeten sich noch einmal ibrer
ältesten Tochter zu, von da gingen sie zu ihrem Manue hinüber,
an welchem der letzte gebrochene Blick haften blieb. Sie hatte
ihren Geist autgcgeben. Nun warf sich Vater Röhn über sie,
hob ihr Haupt in die Höhe und bedeckte ihr Antlitz mit seinen
Kiissen.
„Ursula, Ursula, geliebtes Weib," rief er, „so hast Du
mich doch verlassen! Nun steh'ich allein! Wer wird sich meiner
jetzt annehmen, wer wird die Kinder pflegen? Warum haft Du
mich nicht mitgenommen? Oh, oh!"
„Vater, Vater, jammert nicht so herzbrechend!" schrie es
plötzlich in gellendem Tone neben ihm; es war Lisbeth. „Ihr
seid nicht ganz verlassen; Ihr hobt noch mich! Ich will zu Euch
kommen und Euch pflegen, wie es Euch gebührt und Ihr
verlangt."
„Du?" ries er; „Du willst dieses thun? O, ich habe es
uicht um Dich verdient! Du mußt mich hassen!"
„Vater, sprecht nicht so! Es ist alles, alles vergessen!'
Nach diesem Ausrufe eilte sie auf ihn zu und warf sich ihm an
den Hals. Er preßte sie an sein Herz. Zusammen knieten sie
dann nieder neben der teuren Verblichenen, und ruhiger stossen
ihre Thräncn.
Als am andern Morgen Vater und Tochter nach schlaf-
loser Nacht sich sahen, schrie letztere laut aus, indem sie mit
weit geöffneten Augen aus ihren Vater schaute: er war iu der
eiuen Nacht schneeweiß geworden. Sein Gesicht war eingefallen,
ein Ausdruck des tiessteu Wehes lag darüber ausgebreitet. Von
der früheren Lebhaftigkeit, der alten, jäh aufloderndeu Leiden-
schaftlichkeit merkte man nichts mehr; er war ein gebrochener
Mann.
Zwei Monden waren vergangen, seitdem die sterbliche
Hülle der armen Verunglückten iu deu Schoß der Erde gesenkt
worden war. Das Grab war mit Kränzen geschmückt und fast
täglich wallfahrtete der Schulmeister mit seinen Kindern hinaus
zu der teuren Totenstätte.
Er hatte freundliche Wohnung bei der Patin Lisbeths ge-
funden. Letztere arbeitete ohne Unterlaß, um das aufzubringen
was zur Erhaltung der Familie nötig war. Und trotz der
anstrengenden Arbeit, trotzdem sie fast Tag und Nacht keine
Ruhe hatte, merkte man doch nichts von ungünstigen Folgen
in ihrem Aenßern. Im Gegenteil, sie begann allmälig wieder
aufzuleben, und merkwürdig, was man vorher nie an ihr ge-
sehen hatte: ihre Wangen begannen sich mit frischem Rot zu
schmücken. Mit wahrer Rührung schaute oftmals ihr Vater zu,
wie sich so emsig ihre Häude rührten; und wenn er ihr aus
feuchten Augeu eiuen dankbaren Blick zuwars, dann genügte das,
sie für lauge zu belohnen und zu neuer Arbeit auzusporueu.
Von dem edlen Netter Karl Bolz hatte Vater Nöhn schon
öfter gesprochen. Er hatte sich vorgenommen zu ihm hinzu-
gehen, um ihm seinen Dauk zu sagen und ihn zu fragen, ob er
ihm verzeihen könne und aus seinen Händen das noch entgegen- '
nehmen wolle, was er einst als den Inbegriff des höchsten
Erdenglückes bezeichnet hatte. Doch er stand noch zu sehr unter
dem Eindrücke des letzten schweren Unglücks. Erst sollte die
Erinnerung daran den schmerzenden Stachel verloren haben,
dann wollte er seinen Vorsatz ausführen.
 
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