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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

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Nr. 12 (15. Dezember 1885)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0090
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meiner Seite sich ausbreitet und zur Vervollständigung seiner
Annehmlichkeit auch noch einen Hund und einen Korb voll Käse
mit sich führt. Unerträglich!"
Der andere nickte.
„Mau sollte dergleichen nicht dulden," fuhr jener fort,
„und in der That, ich stehe für nichts, mein Herr; wird mir's
zu arg, so weiß ich nicht, was ich zur Befreiung dieser Nach-
barschaft beginne."
„Geduld, mein Herr," meinte der andere, den Leidens-
genossen bei Seite ziehend, „ich habe bereits ein Mittel, das
uns helfen wird. Der Kerl scheint gerade so dumm zu sein, als
er dick ist; mein Plan wird gelingen."
„Sie machen mich neugierig!"
„Hören Sie! Die Sache ist sehr einfach, wenn Sie mir
Ihren Beistand leisten. Doch erlauben Sie mir zuvor, daß ich
mich Ihnen bekannt mache. Ich heiße Primi und komme ans
Bologna."
„Sehr angenehm! Mein Name ist Duval und ich bin
aus Paris —."
„Wohin auch ich reise uud künftig zu wohnen gedenke,"
warf Primi beilänfig ein und fuhr daun fort: „Ich werde
! Ihnen, sobald wir wieder im Wagen beisammensitzeu, eine
Mitteilung machen, die Sie vielleicht überraschen, wird, die Sie
aber, so unzutreffend sie sein mag, für durchaus zutreffend er-
klären müssen, und zwar werde ich mir zu diesem Zwecke
irgend ein Schriftstück von Ihrer Hand, eine Taschenbuchnotiz
oder sonst was ausbitten."
„Ganz recht, aber wie soll das auf den Dicken einwirken?"
„Nun, wenn ich bitten darf, lassen Sie das ganz meine
Sorge sein, Sie werden mich bald verstehen; nnr bitte ich, mir
niemals zu widersprechen!"
„Wie Sie wünschen. Sie werden mich ganz zu Ihren
Diensten finden."
„Also abgemacht!"
Jeder der Mitreisenden nahm noch eine Erfrischung zu sich
und endlich wurde wieder eingestiegen und die Fahrt weiter
fortgesetzt. Nachdem man cs sich so bequem als möglich ge-
macht hatte, wandte- sich Herr Primi wie von ohngefähr an
seinen Nachbar Duval: „Mein Herr, würden Sie es wohl für
unbescheiden halten, wenn ich Sie bitte, mir einen Blick auf das
beschriebene Blatt zu gestatten, das ich vorhin in Ihren Händen
sah? Ich setze voraus, daß es kein Geheimnis ist."
„Ganz und gar kein Geheimnis! Bitte, hier ist das
Blatt."
Primi nahm dasselbe und betrachtete mit höchstem Wohl-
gefallen die Schrift darauf. „Allerliebst!" rief er dann, „Ihre
eigene Handschrift, mein Herr?"
„So ist es!"
„Diese Handschrift ist in der That vielsagend!"
„Wie meinen Sie das, wenn ich fragen darf?"
„In dieser Handschrift liegt Ihr ganzes zukünftiges
Schicksal verzeichnet, ein glückliches, beneidenswertes Schicksal!"
„Wie soll ich das verstehen, mein Herr?"
Erst jetzt blickte der Handschriftenforscher von dem Objekte
auf, in das er tief versenkt schien. „Es wird Ihnen vielleicht
nicht unbekannt sein," sagte er, „daß eine der neuesten Er-
rungenschaften des gelehrten Wissens darin besteht, daß man
jetzt aus deu Schriftzügen eines Menschen den Charakter und
mit ziemlicher Sicherheit die demselben von der Vorsehung be-
! stimmten Lebensschicksale ersehen kann."

Alles in dem Postwagen horchte auf.
„Ich habe mich mit der Sache eingehend beschäftigt",
fuhr Primi gelassen fort, „und so ist cs mir möglich, Ihnen
ans Ihrer Handschrift eine sehr glückliche Zukunst Zu prophe-
zeien. Daß Sie ein charmanter Charakter sind, der das vollauf
verdient, brauche ich Ihnen nicht erst zn sagen. Sie werden
binnen kurzem eine einflußreiche Stellung bekleiden, ein schönes,
liebenswürdiges Fräulein heiraten, mit der Zeit ein reicher
Mann werden und ein ziemlich hohes Alter erreichen."
„Das läßt sich hören," lachte Duval, „wenn es zutrifft,
will ich recht zufrieden sein!"
„lind es wird zutreffen," versicherte jener, „ich habe mich
in meinen Schlüssen noch nie getäuscht."
Mit üalboffenem Munde starrte der dicke Pächter den
seltsamen Propheten an, der ihn nur mit einem kurzen Blick
streifte. Sich den Schweiß von: Gesicht wischend, rückte er dem
geheimnisvollen Wahrsager etwas näher und sagte: „Mein Herr,
Sie scheinen ein wahrer Tausendkünstler zu sein; würden Sie
nicht die Güte haben, auch mir etwas über meine Zukunft mit-
zutcilen?" Dabei entleerte er .den ganzen Inhalt einer Rock-
tasche, aus welcher unter allerlei anderen Utensilien auch ein
Päckchen Papiere zum Vorschein kam, das er dem gelehrten
Herrn darreichte.
Dieser nahm ein ziemlich ungelenk beschriebenes Blatt da-
von, das der Pächter als seine Handschrift bezeichnete, und warf
einen prüfenden Blick daraus, zog aber sogleich das Gesicht in
bedenkliche Falten.
„Nun, was gielst's?" frag der Ticke voll Ungeduld, „uichts
Gutes?"
„Wenigstens nicht so viel Gutes, wie ich es Ihnen wünschen
möchte," lautete die Anlwort, „aber zu was soll ich Sie be-
unruhigen! '
„Nicht doch, mein Herr!" erklärte jener aufgeregt, „nehmen
Sie keine Rücksicht, ich möchte alles wissen."
„Nun denn!" fuhr Primi fort, „iu einer Beziehung kann
es Jhueu allerdings von großem Vorteil sein, wenn Sie er-
fahren, worauf Ihre Schriftlichen ziemlich klar Hinweisen. So
günstig vieles für Ihre Situation in weiterer Zuknntt spricht,
so sehr möchte ich Ihnen doch raten, von der gegenwärtig unter-
nommenen Reise abzustehen, Sie haben dazu nicht den günstigen
Zeitpunkt gewählt und der Zweck derselben wird vollständig ver-
fehlt sein."
„Alle Wetter!" keuchte der Dicke bei dieser Eröffnung, „ist
das Ihr Ernst?"
„Ich scherze in solchen Dingen nicht," versicherte der
Prophet, indem er noch einen Blick auf das Papier warf und
es mit den Worten zurückgab: „Ihre schleunige Rückkehr iu die
Heimat dürfte um fo ratsamer sein, als mau Ihrer morgen
daheim dringend bedarf —"
„siu was, mein Herr?"
„Das kann ich Ihnen nicht sagen, soweit vermag mein
Auge das Geheimnis nicht zu durchdringen; jedenfalls aber wird
Ihre Heimkehr von Glück begleitet sein."
„Ich danke Ihnen, mein Herr!" ließ sich jetzt der Dicke
vernehmen, holte seinen Küsekorb, lockte den Hund unter der
Bank hervor und rief nach dem Kutscher. Zwei Minuten später-
war die Postkutsche von ihrem beleibtesten Insassen befreit und
setzte erleichtert ihren Weg fort, während der Pächter dem
nächsten Wirtshause zufteuerte, um sich eine Fahrgelegenheit zur
Rückkehr zu suchen. Drinnen im Postwagen aber hatte Primi
 
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