Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verein Historisches Museum der Pfalz [Editor]; Historischer Verein der Pfalz [Editor]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 2.1885

DOI issue:
Nr. 12 (15. Dezember 1885)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.29787#0091
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
- 91

mittlerweile viel zu thun, um die übrigen Fahrgenosseu mit
einem schicklichen Vorwande abzuwehren, da fast jeder, der etwas
Selbstgeschriebenes bei sich hatte, von ihm sein Schicksal zu er-
fahren wünschte.
Ganz für sich eingenommen aber hatte er durch das eben
ausgeführte Manöver Herrn Duval, der ihn, als sie ans der
nächsten Station eine Weile allein waren, mit Komplimenten
über seinen köstlichen Einfall und die Geschicklichkeit, womit er
ihn ausgeführt harte, überschüttete. Ein Wort gab das andere
und Herr Primi fühlte sich iin Laufe des Gespräches zu dem
Bekenntnisse ermutigt, daß er sich gegenwärtig in einer kritischen
Lage befinde, indem er seinen Geburtsort Bologna verlassen
nnd sich zur Reise nach Paris entschlossen habe, uni dort sein
Glück zu suchen.
„Dies kann Ihnen nicht fehlen," bemerkte Herr Duval,
„ein Mann von vorteilhaftem Aeußereu, so vortrefflichen Manieren
und solcher Gewandtheit findet in Paris immer seinen Platz ...
Ich selbst bin erbötig, Ihnen dazu etwas behilflich zu fein,
wenn Sie sich wir anvertrauen wollen."
Primi, der in der That nicht wußte, wohin er in der
großen Stadt zuerst seine Schritte lenken sollte, versprach dies
mit Freuden.
Unter lebhafter Unterhaltung vollendeten beide ihre Reise,
und in Paris angekonnueu, hielt Duval, was er versprochen.
Er führte den neugewonnenen Bekannten bei dein Abbsi de la
Banme, dem nachmaligen Erzbischof von Embrun, ein nnd empfahl
ihn dort auffs beste. Der Genannte war ein Mann von vielem
Einfluß, der namentlich Beziehungen zum Hose unterhielt, und
in Verkehr mit der Prinzessin Henriette von England, Gemahlin
des Herzogs Philipp von Orleans und Vertranten des Königs
Ludwig XIV., stand. Er fand auch Gefallen an dein Italiener,
dessen schöne Erscheinung, verbunden mit seiner Dreistigkeit und
seinem aus Italienisch und Französisch zusammengesetzten Jargon
ganz dazu angethan war, Interesse einzuflößen. Dnval Halle
dem Abbö nicht verhehlt, durch welche drollige Veranlassung er
Priini's Bekanntschaft gemacht hatte, und dieses komische Inter-
mezzo, dessen Erzählung den Abbb weidlich ergötzte, brachte
diesen schließlich auf eine eigene Idee.
Als ein Mann, der fleißig bei Hofe verkehrte, war er na-
türlich auch iu den unvermeidlichen Hofklatsch eingeweiht, ja
mehrfach selbst darein verwickelt, und von den Hofschranzen und
Hofdamen gab es gar manche, die bei ihm ans dem Kerbholze
standen, oder denen er aus sonst einem Grunde gern einen
Schabernack gespielt hätte.
Zu solchen Absichren schien ihm der jnngc Italiener wie
geschaffen. Bald war der Herr Abbö denn auch mit ihm Handels-
eins, er nahm ihn bei sich auf uud schloß ihn, zum Studium,
wie er es nannte, mehrere Wochen von den: Verkehr mit der
Oeffentlichkeit ab. Das „Stadium" aber bestand darin, daß
der Abbö dem Italiener eine Menge Skandalgefchichten erzählte,
von deren jeder Primi sich genau die darin verwickelten Personen
zu werken hatte. Einen Tag uin den andern examinierte dann
der Hausherr seinen Gast, ob er auch alles seinem Gedächtnisse
eingeprägt hatte. Nach Verlaus von vier Wochen wäre Primi
imstande gewesen, die Geheimnisse der Stadt Paris und des
königlichen Hofes schreiben zu können, so genau war er in alles
eingeweiht, was vor und hinter den Coulissen seit Jahren daselbst
vorgega.ngen war. Kein Mann und keine Fran verkehrte an:
Hose, von welcher der Herr Abb«' nicht irgend ein Geheimnis
kannte, das er nnn dem gelehrigen Schüler nütteilte.

Prinii zeigte auch hiebei, daß er eiu offener Kops und ein
anstelliger Mensch sei. Als fünf Wochen vorüber waren, konnte
ihm sein Meister nichts wehr erzählen, was er nicht schon ebenso
gnt zu erzählen gewußt hätte. Dies war das Zeichen, daß er
für die Pläne des Herrn Abbö reis war. Eines Tages kündigte
ihn: derselbe an, daß die Zeit seines Stndinms vorüber sei, und
er nnn in den Salons der höchsten Aristokratie anfzutreten habe.
In welcher Eigenschaft könne ihm kein Rätsel mehr sein: die
Rolle des Propheten, die er so meisterlich iw Postwagen ge-
spielt, möge er nnn anch bei der vornehmen Welt von Paris
spielen; daß er dabei wenig zn riskieren habe, werde ihm bei
der Personalkenntnis, die er — sein Gönner — ilnn gegeben,
einleuchten, und daß das Metier im übrigen sehr einträglich sei,
dafür möchte er ihm bürgen. Sein Debüt werde Primi bei der
Gräfin von Soissons wachen. Dort sei er bereits angenicldet
und sein Besuch werde jeden Tag erwartet.
Und so war es in der That. Abb^ de la Baume hatte
nicht unterlassen, den bewährtesten Klatschbasen der Haute-voE
unter dem Siegel der Verschwiegenheit anznvertrauen, er habe
eine ganz wunderbare Bekanntschaft in der Person eines jungen
Italieners gemacht, der die Kunst besitze, ans der Handschrift
eines Menschen dessen Schicksal zu verküudcu. Binnen zwei
Tagen war die Absicht des AblV erreicht, der ganze Hof wnßte
um das Geheimnis. Jedermann verlangte den Wahrsager kennen
zn lernen. Vor allen aber war die oben erwähnte Gräfin von
Soissons begierig, ihr Schicksal ans dessen Munde zn erfahren.
Sie sollte nicht lange nach ihm schmachten. Eines Tages
führte der AblV den merkwürdigen Italiener bei ihr ein. Prinii
gewann die schöne Gräfin schon durch seine angenehme Persönlich-
keit und die gewandte Art seines Austretens; als er nun aber
vollends ihre Handschrift geprüft nnd ihr allerlei Komplimente
und glückliche Verheißungen gemacht, war sie ganz eingenommen
von ihm. Die Prophezeiungen, die Primi ihr gegeben, konnten
ihrer Meinung nach nicht trügen, denn sie berührten in der That
viele ihrer geheimsten Angelegenheiten — woher sollte der fremde
Mann dies Alles Wilsen? Nachdem sie demselben ein ansehn-
liches Geschenk gemacht nnd ihm das Gelöbnis des Schweigens
abgenommen hatte, entließ sie ihn mit der Bitte, sie recht bald
wieder mit seinem Besuche zu erfreuen.
Bald daraus empfing Priini eine Einladung zur Herzogin
von Orleans. Der junge Italiener folgte und errang einen
Sieg. Mit großer Geschicklichkeit durchflocht er sein Urteil
über ihre Handschrift mit verschiedenen Andeutungen über Mo-
mente ihres bisherigen Lebens und knüpfte daran seine Phan-
tasien über ihre Zukunft. Die Herzogin war anfs Höchste
überrascht. Viele Familienbeziehungen mußte sie aus dem
Munde des Italieners vernehmen, die sic streng verschwiegen
glaubte, selbst ihr damaliges Verhältnis zuni Grafen von
Gniche, wovon ihres Erachtens noch kein Mensch Kenntnis haben
konnte, war dem Fremden nicht verborgen.
Ihr nächster Gang war zum König, dein sie die merk-
würdige Begegnung sogleich mitteilte. Natürlich hegte sic den
Wunsch, der König möchte sich anch von dem Italiener weis-
sagen lassen. Ihr verwandtschaftliches Verhältnis zn Ludwig XIV.,
der sie sogar bisweilen in ernsten Staatsangelegenheiten zn
Nate zog, gestattete ihr ziemlich vertraulich mit ihm zn sprechen.
Allein zufällig zeigte der König gar keine Lust, seine Zukunft
zn erfahren. So sehr anch die Herzogin seine Neugier zu reizen
suchte und den Italiener als eine stannenerregende Erscheinung
darstellte, der Mann des „U'llllnt o'oX moU war nicht aus
 
Annotationen