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Verein Historisches Museum der Pfalz [Hrsg.]; Historischer Verein der Pfalz [Hrsg.]
Pfälzisches Museum: Monatsschrift d. Historischen Vereins der Pfalz und des Vereins Historisches Museum der Pfalz — 5.1888

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Nr. 4 (1. April 1888)
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https://doi.org/10.11588/diglit.29790#0026
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— 26 —

Aer Jugelanfene.
Eine Erzählung aus Kansas' alten Tagen, von I. W. Steele
(Fortsetzung).
Viertes Kapitel.
ittag war's in Sharpsburg und die paar Männer,
welche sich vorher auf der Veranda des kleinen Hotels
mit Politik und Ernteaussichten beschäftigt hatten,
waren in das Speisezimmer gegangen, während die
professionellen Herumlagerer sich nach anderen Gegenden verzogen,
da sie für die nächsten Stunden doch von keinem „Gutmütigen"
einen freien Trunk erwarten konnten.
Der Staatsanwalt faß in feiner Amtsstube, die Füße auf
den Tisch gelegt, und sann darüber nach, ob er vor dem nächsten
Gerichtstermin nicht doch noch etwas inbezug auf den Mord am
Drachen-Bach thun könne. Er mußte etwas thun, denn die
Bürger, welchen er sein Amt verdankte, verlangten, daß jemand
für das Verbrechen gehangen werde und sie hielten sich an ihn,
den Staatsanwalt, daß er diesen Jemand beschaffe. Aber wie
dies zu bewerkstelligen, war ihm noch ein Rätsel, soviel er sich
darüber auch schon das Gehirn abgequält hatte. Es wäre für
seine etwaige Wiederwahl von großer Tragweite gewesen, wenn
er eine Schuldigsprechung herbeiführen konnte, aber der Übel-
stand war der, daß der Einzige, den die Bevölkerung für den
Verbrecher hielt, sich nicht mehr in der Nachbarschaft aufhielt
und auch nicht angegeben hatte, wo er zu finden sei. Wenn
auch zuweilen der Verdacht in ihm auftauchte, daß möglicher-
weise ein anderer den Mord begangen haben könne, so mußte
er ihn doch wieder fallen lassen, denn das Pferd des Ermordeten
war verschwunden und gleichzeitig auch Jim Estis.
Eben hatte er seine Füße vom Tisch genommen, um seine
Grübeleien durch eine Mahlzeit zu unterbrechen, als ein nett-
gekleideter junger Mann eintrat. Der junge Mann hatte noch
etwas Knabenhaftes an sich, aber eine gewisse Gewandtheit in
seinen Manieren zeigte sofort, daß er nicht aus der Umgebung
von Sharpsburg komme.
„Sind sie der Staatsanwalt?" srug er, als er sich in
dem ihm angewiesenen Stuhl niederließ.
„Das bin ich, wenigstens gegenwärtig."
„Wissen sie, wer vor etwa einem Jahre den Mord am
Drachen-Bach, nicht weit von Simpson's, beging?" srug der
junge Mann weiter.
Der Staatsanwalt schien überrascht und bestürzt, faßte sich
aber sofort wieder und entgegnete: „Genau kann ich das aller-
dings noch nicht sagen, das muß erst der Prozeß bestimmen."
„Ist ihnen jemand bekannt, dem sie, wenn sich die Ge-
legenheit böte, gerne für diese That den Prozeß machen möchten?"
Der Beamte musterte den jungen Mann mit scharfen
Blicken und srug: „Wie ist ihr Name?"
Ganz kaltblütig erwiderte der Gefragte: „Ich heiße Jim
Estis, und sie können mich prozessieren, wenn sie Lust dazu ver-
spüren."
„Sind sie verrückt?"
„Durchaus nicht!"
„Haben sie denn einen Verteidiger?" srug der erstaunte
Beamte. „Sind sie freiwillig hierhergekommen, um sich Prozes-
sieren zu lassen? Jemand, der schuldig ist, hat sich, wenigstens
in diesem Teil der Welt, noch nie einem Gerichte gestellt. Ich
bezweifle, ob ich einen Menschen verurteilen kann, der so eifrig

seine Prozessierung sucht. Mir scheint, da ist etwas nicht in
der Ordnung."
„So ist es," antwortete Jim Estis, „darauf können sie
sich verlassen. Man sagte mir, die Leute hier betrachten mich
als den Mörder. Ich bin es aber nicht, ja, ich habe bis gestern
noch nicht einmal Kenntnis von dem Verbrechen gehabt. Ich
will diesen Verdacht aber nicht auf mir sitzen lassen und ich habe
einen Verteidiger, einen Mann, der sein Geschäft versteht, der
meine Unschuld beweisen kann und sie auch beweisen wird."
Der Staatsanwalt schien nun selbst zu bezweifeln, daß
sein Besucher der Mörder sei und er zeigte keine große Lust ge-
richtlich gegen denselben vorzugehen. Er versuchte sogar, ihn
von seinem Vorhaben abspänstig zu machen, denn ein resultat-
loser Mordprozeß wäre ihm auch nicht angenehm gewesen.
Jim Estis ließ sich aber seinen Entschluß nicht ausreden,
und als er sogar damit drohte, daß er seine Unterredung mit
dem Beamten bekannt machen und dessen Chancen aus eine
Wiederwahl dadurch gefährden würde, willigte letzterer endlich,
wenn auch mit Widerstreben ein, das Prozeßverfahren einzuleiten.
Der Staatsanwalt begab sich, etwas verblüfft, zu seinem
Mittagsmahl und Jim Estis reiste wieder ab. Nebenbei mag
hier noch bemerkt werden, daß der letztgenannte junge Mann
sich später in Finanzkrcisen eine sehr geachtete Stellung erwarb.
Fünftes Kapitel.
Der zehnte Oktober war da. Die vielen Pferde und
Fuhrwerke, welche an allen Seiten des langen zweistöckigen
Farmergcbäudes standen, zeigten einen starken Besuch der Land-
bevölkerung an, und der Ausrufer verkündete mit lauter Stimme,
daß heute in Sharpsburg Gerichtssitzung sei.
Frau Shultz war erst vor wenigen Tagen, mitten im
Geschirrwaschen, von einem Gerichtsboten mit einer Vorladung
überrascht worden und auch das sogenannte Oberhaupt, sowie
die übrigen Mitglieder der Familie waren entboten, als Zeugen
zu erscheinen. Die Frau hat allerlei Fragen zu stellen, aber
der Bote entfernte sich wieder, ohne weiteren Bescheid zu geben.
Und so fuhr denn die ganze Familie an dem genannten Tage
über den mit hohem, gelbem Grase und noch gelberen Sonnen-
blumen begrenzten Weg dahin nach Sharpsburg und nahm,
halb neugierig und halb furchtsam, Platz auf den rohgezimmer-
ten Bänken, die im Gerichtszimmer den Zeugen angewiesen
waren. Viele Nachbaren der Familie waren ebenfalls anwesend
und alle schienen nur mit einem Gedanken beschäftigt. Man
konnte es ihnen ordentlich an den Gesichtern ablesen, daß sie
alle an den Mord dachten und nun erwarteten, ein gewisser,
schrecklich böser Junge, dessen Name in der Vorladung genannt
war, werde nun das Ende finden, das sie ihm schon so lange
prophezeit hatten.
Frau Shultz, die noch nie vor einem Manne Furcht ge-
habt hatte, konnte sich nicht enthalten, als der Staatsanwalt
einmal an ihr vorbeiging, die Frage zu stellen, ob Jim Estis
denn auch wirklich verhaftet worden sei. Der Gefragte stellte
sich aber, als ob er nichts gehört hätte und schritt weiter, wor-
über die alte Frau sich augenscheinlich gekränkt fühlte.
Die Gerichtsverhandlungen des Vormittags hatten keinen
Bezug auf diesen Fall und das Publikum langweilte sich. Aber
nach der Mittagspause wurde das allgemeine Interesse wachge-
rufen, als der Richter ankündigte: „Kriminal-Prozeß; der Staat
gegen James Estis! Ist der Staatsanwalt bereit vorzugehen?"
Die Fan«lie Shultz hörte diese Bemerkung und rückte et-
 
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