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Monatsblätter für christliche Kunst (.Jahrgang, 5. Heft, Februar 1909
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst. Preis für den Jahrgang in kl. Frankozustellung M3.—

ÜBER GLOCKENZIER
Von A. WENIG
Die Hauptsache bei einer Glocke ist der
Ton, bei mehreren Glocken die Har-
monie der Töne. Der Ton ist für die Glocke,
was die Seele für den Leib ist. Wie aber
ein Kulturmensch seinen Leib nicht vernach-
lässigt, mag er auch noch so sorgfältig seine
geistigen Bedürfnisse befriedigen, so soll auch
das Äussere einer Glocke nicht vernachlässigt
werden. Die Geschichte der Glocken zeigt
auch eine Entwicklung der Glockenzier, eine
Hebung und Senkung. Die Gestaltung der
Glockenzier hängt zusammen mit der Technik
des Glockengusses, mit dem historischen Sinn
eines Zeitalters, mit der Liturgie der Glocken-
weihe, mit der Bedeutung der Glocken, mit
der Freude am Schmuck und der jeweiligen
Geschmacksrichtung. Die Glockenzier besteht
in Inschriften, Ornamenten, Bildern. Die ältesten
Glocken sind ohne Zier. Die erste bescheidene
Zier wurde anfänglich dadurch erzielt, dass
der Giesser seine Linien in den Gussmantel
ritzte — eine Technik, die ich übrigens sehr
gut finde, wenn sie auch mühsam ist. Erst,
als der Giesser gelernt hatte, mit Wachs
zu arbeiten, Buchstaben, Ornamente, Bilder
aus Wachs zu modellieren, die Wachsformen
dem Glockenmodell (falsche Glocke) aufzu-
setzen und nach Fertigung des Glocken-
mantels abzuschmelzen, konnte die Zier sich
reicher entfalten.

Haben die Giesser bis zur Mitte des ver-
gangenen Jahrhunderts wohl Geschmack be-
wahrt, d. h. Material und Form bei der Zier
berücksichtigt: Erz und Flächen, hat eine nach-
folgende Zeit durch Nichtberücksichtigung der
beiden Faktoren vielfach Geschmacklosigkeiten
gezeitigt. Auch die neueste Zeit ist hier noch
rückständig. Die Glockengiesser wollen ihre
Modelle nicht auf die Strasse werfen, scheuen
davor zurück, einmal mit einem dekorativen
Künstler Fragen über Glockenzier zu besprechen
und auch etwas für geeignete Entwürfe aus-
zugeben. Darum ist auch auf diesem Gebiet
eine Besserung nur zu erwarten, wenn die Be-
steller (die Geistlichen) die Initiative ergreifen.
Es fällt wohl oft das Wort: „Was brauchen
die Glocken Zier, sie hängen hoch oben am
Turm und niemand sieht sie?“ Das ist ein
Wort, dem man eine Berechtigung nicht zu-
erkennen darf. Die Glocken dienen doch der
Ehre des allvollkommenen Gottes; sie sind
ein Denkmal für Jahrhunderte und sollen zeugen
für die Kultur unserer Zeit. Darum gebührt
den Glocken Zier. Wie soll die Glockenzier
beschaffen sein? Glockenzier ist Beigabe zur
reinen Form der Glocke, die in ihren schön
geschwungenen, von oben nach unten flies-
senden Linien allein schon ästhetischen Cha-
rakter hat. Weil Zier Beigabe, muss sie be-
scheiden sein. Sie darf die Linie nicht
stören und die Form nicht überwuchern wie
der Rosenstrauch das Märchenschloss. Nach
Zier schreien fast Hals und Kranz der Glocke.
 
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