Monatsblätter für christliche Kunst I. Jahrgang, 12. Heft, September 1909
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst. Preis für den Jahrgang inkl. Frankozustellung M 3.—
ÜBER BILDERBESPRECHUNG IN
DER SCHULE
Von E. GUTENSOHN
Die Abweisung des bildenden Einflusses
der Kunst ist Zeichen einer niederen
Bildungsstufe, eines materialistischen, ungeisti-
gen Sinnes, oder Ausfluss religiöser Anschau-
ungen, welche dem Wesen des Menschen
nicht sein Recht werden lassen.“ So sagt
Bischof Keppler in seinem Buche „Aus Kunst
und Leben“ S. 3.
Wenn aber einmal der bildende Einfluss der
Kunst erkannt ist, dann wird wohl nicht be-
stritten werden, dass für denselben die Pforten
der Seele schon geöffnet werden müssen zu
der Zeit, da der Mensch auch seine sonstige
Bildung empfängt, und wo er am bildungs-
fähigsten ist: in der Jugend. Hier ist die
Seele am empfänglichsten für die Eindrücke
der Aussenwelt, auch für die Reize des Schönen;
wer da warten wollte bis „mehr Verständnis“
vorhanden, der käme oft zu spät, weil beim
Erwachsenen der Kampf ums liebe Brot sowie
die tausend Sorgen und Plackereien des All-
tags die Empfänglichkeit der Seele für die
Kunst oft mehr oder weniger ersticken. In
der Tat dürfte es wohl heutzutage keinen ge-
bildeten Erzieher geben, der eine vernünftige,
gutgeleitete Kunsterziehung etwa für überflüssig
oder für schädlich hielte. Alle Anlagen des
Menschen sind der Ausbildung fähig, warum
also wollte man die künstlerischen verkümmern
lassen, zumal da ihre Ausbildung jedem eine
reine Quelle von Freuden erschliessen kann.
Im übrigen hat die Kunsterziehung bereits
ihren Einzug in die Schule gehalten. Der
Zeichenunterricht wurde (oder wird) reformiert,
bei Schulhausbauten, auch auf dem Lande,
wird nach künstlerischen Grundsätzenverfahren,
im Sprachunterricht wird mehr als früher künst-
lerischen Wirkungen Raum gewährt, die Jugend-
literatur wird sorgfältiger ausgewählt, Bücher
und sonstige Lehrmittel werden künstlerisch
besser ausgestattet, die Wände der Schul-
zimmer werden mit Bildern geschmückt, nicht
bloss mit solchen, die dem Unterricht dienen,
sondern auch mit solchen, die für den Kunst-
genuss, für das künstlerische „Sehenlernen“
bestimmt sind.
Es gibt freilich auch gegenwärtig noch Leute,
die das Anbringen von Wandschmuck in der
Schule für „Luxus“ halten. Solchen gegen-
über wären die Worte Spaniers am Platze:
„So wie man in manchen Lehrplänen einen
Kanon von Gedichten festsetzt, die im Ge-
dächtnis der Kinder bleiben sollen, so könnte
man auch verlangen, dass die Schüler eine
gewisse Anzahl guter Bilder auswendig wissen.
Nur dadurch, dass man die Jugend mit guter
Kunst umgehen lässt, dass man sie vertraut
macht und Freundschaft schliessen lässt mit
dem Schönen, bewahrt man sie später vor
dem Bewundern hohler Scheinkunst und weckt
ihre ästhetischen Bedürfnisse in Arbeit und
Musse. Nur so lehrt man sie eine Art des