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DER GRANATAPFEL, EIN SINNBILD DER GÖTTLICHEN LIEBE

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und religiösen Liebe gegolten, und in den
schönen Soirees von Venedig im 14. bis
18. Jahrhundert spielte der Granatapfel eine
grosse Rolle, Heutenoch wird durch dieseFrucht
in den südlichen Freimaurerlogen die sinnliche
Liebe gedeutet, gerade wie bei uns eine Rose
oder ein Herz als Symbol der Liebe gilt.
Wenn man aber nach dem Grunde dieser
Beziehungen fragt, so finden wir in der Frucht
des Granatbaumes einige Anhaltspunkte. Die
Gestalt des Granatapfels gleicht in etwa einem
Herzen. Die auf demselben von der Blüte
zurückgebliebenen festen Kelchenden könnten
die aus dem Herzen hervorlodernden Flammen
der Liebe bedeuten. Das Innere ist rosa-
oder feuerrot und entwickelt einen zarten
Duft, weshalb auch im Hohenliede (IV, 3)
der Bräutigam die liebeglühenden Wangen
seiner Braut mit dem Innern eines Granat-
apfels vergleicht. Zudem wurde schon im
frühesten Altertum aus dieser Frucht ein an-
genehmes Getränk bereitet, welches man
in Ägypten Sedehit nannte und das so wert-

voll war, dass man die Fruchtgärten Ramses II.
wegen dieses Produktes pries. Auch soll man
daraus, wie Rupertus schreibt, eine ausgezeich-
nete Arznei bereitet haben.
Diese verschiedenen Eigenschaften mögen
den christlichen Künstlern vorgeschwebt haben,
als sie durch den Granatapfel die Liebe des
göttlichen Heilandes darstellten. Sie mögen
auch die kirchlichen Schriftsteller angeregt
haben, wenn sie sich tief in die Betrachtung
des Leidens und der Liebe des Gottmenschen
zu versenken strebten. Wie einst ein Apfel
am Baume des Paradieses für unsere Stamm-
eltern der Anlass zur Sünde und des Ver-
derbens für die ganze Menschheit wurde, so
hing auch Christus, den die Väter den Apfel
der edelsten Art nennen, am Stamme des
Kreuzes, um dem ganzen Menschengeschlechte
das Leben zurückzuerstatten. — Richard von
St. Victor (12. Jahrh.) nennt Jesus Christus
einen Granatapfel, der vom Leiden ganz gerötet
wurde, weil nie ein Schmerz gleich war seinem
Schmerze. Cassiodorus und Beda vertiefen

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Hermanns.

sich auch in diese Betrachtung: „Wenn
man die äusseren Leiden des Erlösers
betrachtet, ist dies gleich, als sehe man
nur die unscheinbare Aussenseite des
Granatapfels. Man muss denselben öffnen,
in das Innere schauen, dem ein so köst-
lich würziger Saft und Duft entströmt.
So muss man auch in das innere Leiden
des Heilandes eindringen, dieses grenzen-
lose Seelenleid des göttlichen Herzens
betrachten, dessen Blut über die ganze
Menschheit geflossen ist.“ Auch Philo
von Kalpasia, der Freund des hl. Epipha-
nius, vergleicht den aus dem Granatapfel
fliessenden Saft mit dem kostbaren, aus
dem Herzen strömenden Blute des Erlösers.
Die angeführten Stellen und-Gründe
mögen genügen, dieDarstellung desGranat-
apfels als Sinnbild der Liebe des Hei-
landes zu rechtfertigen. Ob es auch daher
kommt, dass der Granatapfel in der
rein kirchlichen Kunst, sowohl früher als
heute, sowohl in der Malerei und Orna-
mentik als auch in der Webekunst, noch
zu den beliebtesten Motiven gehört ?

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