Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Monatsblätter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
III. Jahrgang, 3. Heft, Dezember 1910
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des Jahrgangs inkl. Frankozustellung M3.—

RELIGIÖSE KUNST IN DEN
BERGEN VON TIROL.
Von Ferd. Nockher, Pullach-München.
Die unmittelbare Berührung mit der Natur
weckt unablässig den Sinn für das Gött-
liche und steigert gleichzeitig den Trieb zum
Selbstschöpferischen mittelst eines idealen,
tätigen Vorbildes. Und die geheimnisvolle,
unermüdliche, wie unerschöpfliche Kraft, ge-
leitet von einem unfassbar erhabenen Geiste,
nimmt gefangen und läutert die Gedanken.
Das Stadtleben dagegen birgt in seinen end-
losen Mauern einen sinnverwirrenden Trubel,
öde Gemeinplätze mit Massenproduktion, die
Kneiplokale, das Alltäglichste, die Gewohnheit
und schliesslich die Stumpfheit. Hier muss
sich das Bedürfnis einstellen nach gewaltsamer
Steigerung sinnlicher Wahrnehmungen, und
dem verdanken wir die Notwendigkeit der
Sensation. Die rein geistigen Bedürfnisse
unserer Zeit gaben Veranlassung zur Prägung
eines beliebten Schlagwortes — „Stadtflucht“,
heute mit mehr Berechtigung denn je. Wo
immer wir dem Bereiche von industriellen
Betrieben, Automobilen und manch anderen,
ebenso wertvollen, wie lästigen Errungen-
schaften der Neuzeit entrückt sind, empfinden
wir die starken Gegensätze zwischen natur-
gemässer Lebensweise und städtischer Über-
kultur. Die Statistiken von Berlin wissen davon
zu berichten, wie alt viele Kinder werden, bis

sie ein lebendiges Schaf zu Gesicht bekommen
haben; Saat und Ernte kennt ein namhafter
Teil der armen Stadtbevölkerung nur ungefähr
aus Theorien. Wie unsagbar entmutigend wirkt
die genauere Kenntnis von dem durchschnitt-
lichen Verlauf städtischen Menschenlebens und
es wird immer Momente geben, wo der ein-
zelne die Ode und Leere seiner oberflächlichen
Umgebung empfinden muss. —
Wie so ganz anders verbindet sich der
ländliche Lebensstil in Feiertagsstimmung mit
Arbeit und Pflichten, wie hebt er das Auge
gen Himmel und weckt den Geist für das
Ewige! Der Schöpfer spricht zum Sämann
mit dem blauenden Himmel, und den Schnitter
erwärmt die Liebe Gottvaters mit den Strahlen
der Sonne. Auch die mahnende Stimme wird
unmittelbar vernehmbar, Prüfungen und Schick-
salsschläge wirken ungeschwächt. Bald ist es
Donner und Blitz, die zu Bescheidenheit und
Einkehr mahnen, bald beweisen Hagel und
Überschwemmung Unwert und Vergänglichkeit
alles Irdischen; dem einzelnen wird die Lehre
ebenso bewusst, wiederGesamtheitzumNutzen.
So erklärt sich gar einfach der tief reli-
giöse Sinn, der glücklicherweise noch fest-
gewurzelt der Bauernkultur innewohnt. Er
erfüllt das ganze Leben, begleitet den Erden-
bürger von der Wiege bis zum Grabe in Sitten
und Gebräuchen, im Haus, auf dem Felde,
in Berg und Tal. Ein überaus dankbares
Gebiet einschlägiger Betrachtungen bietet Oster-
 
Annotationen