Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext

Monatsblätter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
III. Jahrgang, 9. Heft, Juni 1911
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des Jahrgangs inkl. Frankozustellung M3.—

DREI WERKE THÜRINGISCHER
HOLZSCHNITZKUNST.
Von Dr. O. D o er i n g-Dachau.
Die auf S.6/ abgebildeten Figuren stammen
aus der St. Gertrudkirche zu Graba, einem
Dorfe, das unmittelbar an die thüringische
Stadt Saalfeld grenzt. Daselbst stehen sie,
recht unbequem für das Auge, auf der Be-
dachung eines Chorgestühls. Dargestellt sehen
wir von links nach rechts den hl. Benedikt,
die hl. Gertrud und den' hl. Anno, letztere
beide mit einem Kirchenmodell, den ersteren
mit dem Giftglase unter Bezug auf den Mord-
versuch, der im Kloster Vicus Varronis (Vi-
covaro) seiner Strenge halber gegen ihn unter-
nommen wurde. In der Linken hat er einst
den jetzt verschwundenen Abtsstab gehalten.
Die drei Figuren gehörten ehemals zu dem
Hauptteil eines Altarwerkes, das 1773 beseitigt,
und dessen Reste 1830 in der Sakristei unter-
gebracht wurden. Die Figuren sind sämtlich
lebensgross, die höchste misst 1,78 m. Zum
ersten Male finden wir sie kurz erwähnt, ge-
würdigt und abgebildet in dem 1892 erschie-
nenen Hefte der Thüringischen Bau- und
Kundstdenkmälerbeschreibung, das den Bezirk
Saalfeld behandelt. Der Herausgeber Lehfeld
zollt ihrer Ausführung alle mögliche Aner-
kennung und stellt zugleich fest, dass manche
Züge dabei von der Saalfelder Art abweichen
und süddeutsche Einflüsse zeigen, die der

Künstler in sich aufgenommen habe, bevor
er in und bei Saalfeld tätig gewesen sei.
Mit der letzteren Annahme befand Lehfeld
sich im Irrtum, wie wir noch sehen werden.
Interessant aber ist, dass auch ihm schon die
starke Eigenart dieser Werke auffiel, so dass
er ihnen eine Sonderstellung anweisen zu
müssen glaubte.
Betrachten wir die drei Holzschnitzwerke
genauer, so sehen wir, dass bei ihnen gleich-
mässig schlanke Körperproportionen herrschen.
In der Haltung ist die weibliche Figur am
ruhigsten, während die beiden männlichen
die übliche gotische Ausbiegung in der Hüfte
zeigen. Die Gewandung ist bei allen dreien
höchst ausdrucksvoll behandelt. Die spät-
gotische Faltenknitterung, an einzelnen Stellen
in ihren Längslinien durch kleine horizontale
Fältchen unterbrochen, zeigt bei allem regen
Leben doch Ruhe und Zurückhaltung, ganz
besonders an den Oberkörpern. Charakte-
ristisch ist die Verwendung kleiner, zurück-
geschlagener Partien, wovon eine namentlich
bei der Gertrudenfigur starke Wirkung tut.
Die Gestalt des Bischofs ist mit den reich
gefalteten Gewändern, die in Weiss, Rot und
besonders Gold gehalten sind, bis über die
Füsse verhüllt, so dass auch von dem blumi-
gen Erdboden, auf dem er steht, und der bei
den beiden anderen Figuren deutlich zur
Geltung kommt, nur wenig übrig geblieben
ist. Die Figuren von St. Benedikt und St. Ger-
 
Annotationen