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72

GESICHTSPUNKTE ZUR STILKRITIK — EISENGITTER


Kommuniongitter in der Kirche zu Pfersee bei Augsburg (Bronze)
Entwurf: Architekt MICHAEL KURZ; Ausführung: JOS. FROHNSBECK (München)

durch die Gewandung hindurch oder Ver-
deckung seiner Formen; — dann die Ge-
sichtsbildung (länglicher, runder Schnitt,
Bildung der Knochen, — die Köpfe realistisch
aus der Umgebung des Künstlers genommen
oder stilisiert oder schematisiert); — Besonder-
heiten der Partien an Stirne, Augen, Nase,
Mund, Kinn; — die Hände und sonstige un-
bedeckte Körperteile: individuell oder kon-
ventionell, herb oder weich; — seelische
Qualitäten in Haltung, Gesichtsausdruck,
Handbewegung. Auch die Wiederkehr ge-
wisser Eigenheiten an Gesichtern und
Händen und gewisser Motive an den Ge-
wändern, oder aber das Fehlen solcher Züge
kann Fingerzeige für oder gegen die Zu-
gehörigkeit eines Werkes zu den Arbeiten
eines Künstlers oder einer Schule geben. End-
lich können auch technische Besonder-
heiten, namentlich an Haaren und Gewän-
dern, bestimmte Spuren weisen.
Eingehende Beschäftigung mit Stilkritik
ist für den Kunstgeniessenden gewiss nicht
nötig. Immerhin aber dient eine massvolle
Beschäftigung mit Fragen, die in dieses Ge-
biet einschlägig sind, zur Schärfung des Auges
für das individuelle Leben eines wahren Kunst-
werkes. Auf solche Weise kann dieser Zweig
der Kunstwissenschaft zur Erhöhung des Kunst-
genusses beitragen.
S. Staudhamer.

EISENGITTER
Schon in der Gotik, aber noch mehr in den Jahr-
hunderten der Renaissance standen Geschmack und Kunst-
fertigkeit in der Bearbeitung des Eisens auf einer be-
wunderungswürdigen Höhe. Viele unserer Kirchen und
Schlösser besitzen hervorragende Erzeugnisse des Schmiede-
handwerks aus dem 17. und 18. Jahrhundert in den
Abschlussgittern von Oratorien, Kapellen und Altären,
Toren, Fenstern. Von solchen Prachtleistungen liess sich
der tüchtige Kunstschlosser Frohnsbeck bei der im
vorigen Jahre erfolgten Elerstellung jener meisterhaft ge-
arbeiteten Gitter für die Kirche in Oberammergau leiten,
die wir in No. 8 S. 58 ff veröffentlichten. Die Abbildungen
geben gute Beispiele, wie ein ornamentales Motiv variiert
werden kann. Die Friedhofgitter S. 58 und 59 sind
schlicht, und da sie sich ebenso nach der Flöhe, wie
nach der Breite entwickeln, so herrscht der senkrechte
Stab vor. Die Vorstellung des A b s c h 1 i e s s e n s kommt
namentlich durch den unteren Streifen mit seinem engen
Gitter werk zum Ausdruck. Im oberen Teile wird die
Reihe der Stäbe glücklich durch Verschlingungen unter-
brochen, welche dem Stabwerk mehr Fülle und Beweg-
lichkeit verleihen. Sehr günstig wirkt die Abwechslung
in den oberen Abschlüssen. Die reicheren Gitter S. 60
und 61 dehnen sich nach der Breite aus. Deshalb ent-
wickeln sich auch die Leitlinien stärker nach der Breite
als nach der Hohe. — In vorliegender Nummer sehen
wir auf S. 72 ein modernes Gitter aus geschmiedeter
Bronze. Die Formen lassen nicht viel freien Zwischen-
raum, sondern sind enge aneinandergerückt und heben
so das Abschliessen stark hervor. Letzteres musste
in diesem Falle geschehen, einmal weil für eine Kom-
munionbank und die Abschlussgitter derselben starke
Durchbrechungen nicht passen, dann weil niedrige
Schranken überhaupt einen geschlossenen Eindruck
hervorrufen müssen. S. St.

Redaktion: S. Staudhamer* Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, G. m. b. H.; Druck der Verlagsanstalt
vorm. G. J. Manz, Buch- und Kunstdruckerei; sämtlich in München.
 
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