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Monatsblätter für christliche Kunst, praktische Kunstfragen und kirchliches Kunsthandwerk
VI. Jahrgang, 10. Heft, Juli 1914
Verlag der Gesellschaft für christliche Kunst, München. — Preis des uollständigen Jahrgangs Mark 3 —

KUNSTWEBEREI
Von Dr, Andreas Huppertz
Als Bezeichnung für die Erzeugnisse der
Kunst- oder Handweberei hat sich bei
uns der Name Gobelin eingebürgert. Er ge-
hört weder unserer Sprache an, noch ist er
für die bezeichnete Sache charakteristisch.
Im Jahre 1662 wurde in Paris die Manu-
facture royale des meubles de la couronne
gegründet und dazu ein Grundstück erworben,
das nach seinen Besitzern les Gobelins hiess.
Dieses Grundstück gab für die Manufaktur
wie für die in ihr hergestellten Gewebe den
Namen. In gleicher Weise nennt der Italiener
nach einem berühmten Herstellungsorte, der
Stadt Arras, die Erzeugnisse der Kunstweberei
Arazzi. In deutscher Sprache sollte man sie ent-
weder auf Grund der Herstellungsweise Kunst-
gewebe oder, entsprechend ihrem Zwecke,
Wandteppiche nennen. Denn abgesehen von
Erzeugnissen kleineren Formats, die meist als
Möbelbezüge dienen, besteht die Hauptauf-
gabe der Kunstweberei darin, Wandflächen zu
schmücken. Vielfach sieht man solche Gewebe
auch als Antependien zur Bekleidung der Altar-
mensa, und wollte man sie von mechanisch
gewebten, die es aber bisher nicht gibt, unter-
scheiden, dann könnte man von handgewebten
oder handgewirkten Antependien sprechen
Im Mittelalter und in der Zeit der Re-
naissance waren die Wandteppiche sehr ge-

schätzt, besonders auch als Schmuck für die
Kirche. Manche Kirchen hatten, wie berichtet
wird, einen so grossen Vorrat, dass bei fest-
lichen Gelegenheiten das ganze Innere damit
behängt werden konnte. Gerade sie bildeten
einen wesentlichen Bestandteil des kirchlichen
Festschmuckes, neben festlicher Pracht ver-
liehen sie dem Raume auch eine gewisse
Wärme und Behaglichkeit.
Bis zum Ausgange des Mittelalters wurden
die Wandteppiche in Deutschland nur aus
Wollfäden gewebt. Ein sehr gut erhaltenes
Beispiel dieser Art ist ein Antependium aus
dem 15. Jahrhundert mit der Darstellung
eines Hostienwunders, welches im Bayerischen
Nationalmuseum zu München im Saal 8 jetzt
den „Bamberger Altar“ ziert. Was in jener Zeit
an seidengewirkten Stücken in Deutschland
war, kam aus dem Orient, aus Italien oder
aus Frankreich, später auch aus den Nieder-
landen, besonders aus Flandern. Als Her-
stellungsorte kommen bei uns anfangs wohl
nur Frauenklöster in Betracht. Die Art, wie
die Teppiche da gewebt wurden, zeigt ein
ausgezeichnetes Antependium, das sich gleich-
falls im Bayerischen Nationalmuseum („Kirchen-
saal“ (15), Kapelle VII, Nr. 20) befindet. Auf
ihm hat sich unten am Mantel der darge-
stellten Madonna die Verfertigerin, eine Kloster-
frau, selbst bei der Arbeit wiedergegeben.
Sie sitzt vor einem einfachen, hohen Holz-
rahmen, in welchen von oben nach unten
 
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