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WETTSTREIT ZWISCHEN MALEREI UND POESIE.
welchem (alsdann) das Eindrucksvermögen die Scheinbilder
empfängt, nicht anders, als wenn dieselben von der natürlichen
Wirklichkeit herrührende wären. Und die Poesie gibt ihre
Dinge ohne dieses Scheinbild von sich, und sie gehen nicht,
wie die Malerei, auf dem Wege der edlen Sehkraft zum Ein-
drucksvermögen ein.
Nr. 18. 15. Gleichniss zwischen der Poesie und der Malerei.
Die Einbildungskraft sieht nicht solche hervorleuchtende
Herrlichkeit, als das Auge erschaut, denn dieses nimmt die
Strahlen oder Scheinbilder der Gegenstände in sich auf und
überliefert sie dem Eindrucksvermögen, von hier aber dem Ge-
sammtsinn, und da wird beurtheilt; Einbildung aber tritt gar
nicht aus dem Gesammtsinn hervor, äusser etwa, insofern sie in's
Gedächtniss übergeht und sich dort fixirt, oder, wenn der ein-
gebildete Gegenstand nicht von sehr vorzüglicher Deutlichkeit
ist, abstirbt. Und in diesem Falle befindet sich das Gedicht im
Geist oder in der Einbildungskraft des Dichters, wenn derselbe
die gleichen Dinge vortäuscht, wie der Maler, er will sich diesem
mit solcher Vortäuschung gleichstellen, bleibt aber in Wahr-
heit weit hinter ihm zurück, wie oben gezeigt ward. Wir
werden also mit Wahrheit sagen, in solchem Falle der Vor-
täuschung sei von der Wissenschaft der Malerei zur Poesie
gerade ein solches Abstandsverhältniss, wie vom Körper zu
seinem Schlagschatten, und sogar ein noch grösseres. Denn
der Schatten eines solchen Körpers tritt wenigstens durch's
Auge zum Gesammtsinn ein, die Einbildung aber desselbigen
Körpers geht gar nicht zu diesem Sinne ein, sondern sie entsteht
daselbst, im verfinsterten Auge. 0, welch' ein Unterschied
ist es, sich ein solches Bild im verfinsterten Auge einzubilden
und es in Wirklichkeit ausserhalb der Finsterniss zu erblicken!
Wirst du Dichter die blutige Schlacht darstellen, steht man
da vor düsterer Luft, verdunkelt von der erschrecklichen Mord-
maschinen Dampf, der sich mit dichtem, den Himmel trüb
einhüllendem Staube mischt, und inmitten der Flucht Elender,
vom furchtbaren Tod Gescheuchter? In solchem Falle überragt
dich der Maler, denn deine Feder wird aufgebraucht sein, ehe
denn du vollauf beschreibst, was der Maler dir, mit seiner Wissen-
WETTSTREIT ZWISCHEN MALEREI UND POESIE.
welchem (alsdann) das Eindrucksvermögen die Scheinbilder
empfängt, nicht anders, als wenn dieselben von der natürlichen
Wirklichkeit herrührende wären. Und die Poesie gibt ihre
Dinge ohne dieses Scheinbild von sich, und sie gehen nicht,
wie die Malerei, auf dem Wege der edlen Sehkraft zum Ein-
drucksvermögen ein.
Nr. 18. 15. Gleichniss zwischen der Poesie und der Malerei.
Die Einbildungskraft sieht nicht solche hervorleuchtende
Herrlichkeit, als das Auge erschaut, denn dieses nimmt die
Strahlen oder Scheinbilder der Gegenstände in sich auf und
überliefert sie dem Eindrucksvermögen, von hier aber dem Ge-
sammtsinn, und da wird beurtheilt; Einbildung aber tritt gar
nicht aus dem Gesammtsinn hervor, äusser etwa, insofern sie in's
Gedächtniss übergeht und sich dort fixirt, oder, wenn der ein-
gebildete Gegenstand nicht von sehr vorzüglicher Deutlichkeit
ist, abstirbt. Und in diesem Falle befindet sich das Gedicht im
Geist oder in der Einbildungskraft des Dichters, wenn derselbe
die gleichen Dinge vortäuscht, wie der Maler, er will sich diesem
mit solcher Vortäuschung gleichstellen, bleibt aber in Wahr-
heit weit hinter ihm zurück, wie oben gezeigt ward. Wir
werden also mit Wahrheit sagen, in solchem Falle der Vor-
täuschung sei von der Wissenschaft der Malerei zur Poesie
gerade ein solches Abstandsverhältniss, wie vom Körper zu
seinem Schlagschatten, und sogar ein noch grösseres. Denn
der Schatten eines solchen Körpers tritt wenigstens durch's
Auge zum Gesammtsinn ein, die Einbildung aber desselbigen
Körpers geht gar nicht zu diesem Sinne ein, sondern sie entsteht
daselbst, im verfinsterten Auge. 0, welch' ein Unterschied
ist es, sich ein solches Bild im verfinsterten Auge einzubilden
und es in Wirklichkeit ausserhalb der Finsterniss zu erblicken!
Wirst du Dichter die blutige Schlacht darstellen, steht man
da vor düsterer Luft, verdunkelt von der erschrecklichen Mord-
maschinen Dampf, der sich mit dichtem, den Himmel trüb
einhüllendem Staube mischt, und inmitten der Flucht Elender,
vom furchtbaren Tod Gescheuchter? In solchem Falle überragt
dich der Maler, denn deine Feder wird aufgebraucht sein, ehe
denn du vollauf beschreibst, was der Maler dir, mit seiner Wissen-