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Leonardo; Ludwig, Heinrich [Hrsg.]
Das Buch von der Malerei: nach dem Codex Vaticanus 1270 — Quellenschriften für Kunstgeschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, Band 18: Wien: Braumüller, 1882

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https://doi.org/10.11588/diglit.73085#0056

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32 WETTSTREIT DER MALEREI MIT DER MUSIK.

Fascikel 4.
Wettstreit der Malerei mit der Musik.
Nr. 32. 29. Wie die Musik der Malerei Schwester genannt wer-
den muss, und zwar die kleinere.
Die Musik kann man nicht anders, als eine Schwester der
Malerei heissen, denn sie ist dem Ohr unterthan, welches der
auf's Auge folgende Sinn ist, und fügt Harmonie zusammen,
durch die Verbindung ihrer gleichzeitig hervorgebrachten Ver-
hältnisstheile, die genÖthigt sind, in einem oder mehreren ein-
klingenden Zeitmaassen (oder Accorden) (zusammen) zu entstehen
und zu ersterben; und diese Accorde umschliessen die Pro-
portionalität der Einzelglieder, aus denen sich solche Harmonie
zusammenfügt, nicht anders, als wie die allgemeine Umrisslinie
die Einzelglieder umschliesst, aus denen die menschliche Schön-
heit gebildet wird.
Allein die Malerei übertrifft die Musik und herrscht ihr
ob, denn sie erstirbt nicht unmittelbar nach ihrer Hervor-
bringung, wie die Missgeschick duldende Musik, im Gegen-
theil, sie verharrt im Dasein, und was in der That nur eine
einzige Fläche ist, weist sich dir als lebendig. 0 wunderbare
Wissenschaft, du erhältst die hinfälligen Reize der Sterblichen
am Leben, so dass sie (in dir) grössere Dauer besitzen als an
den Werken der Natur, die unaufhörlich von der Zeit, die sie
zu dem ihnen bestimmten Alter geleitet, verändert werden.
Und in demselben Verhältnisse, in dem ihre Werke zu den
Werken der Natur stehen, steht auch diese Wissenschaft selbst
zur göttlichen Natur, und deshalb betet man sie an.
Nr. 33. 30. Der Musiker redet mit dem Maler.
Es sagt der Musiker, seine Wissenschaft sei der des Malers
gleichzustellen, denn sie füge aus vielen Gliedern einen Körper
zusammen, dessen ganze Anmuth der Beschauer in so vielen
harmonischen Zeitmaassen betrachte, als der Zeitabschnitte (oder
Accorde) seien, in denen sie entsteht und erstirbt; und dass die
Musik durch diese Accorde die im Körper des auf sie Ach-
tenden wohnhafte Seele anmuthig ergötze.
 
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