3o WETTSTREIT ZWISCHEN MALEREI UND POESIE.
klingende Verhältnissmässigkeit bildet. Sie befriedigt den Geist
des Hörers oder Beschauers nicht, wie die Proportionalität
dieser so sehr schönen Gliedtheile, welche zusammen die
göttlichen Reize des da vor mir stehenden Angesichtes bilden,
die, alle in den gleichen Augenblick vereint, mir mit ihrem
göttlichen Verhältnisse so grosses Wohlgefallen verursachen, dass
ich meine, es könne nichts anderes auf Erden, das Menschen-
werk ist, grösseres gewähren.
Es gibt kein so sinnbethörtes Urtheil, das, wenn ihm die
Wahl vorgelegt würde, entweder in ewiger Finsterniss zu ver-
harren, oder das Gehör zu verlieren, nicht augenblicks sagte,
es wolle lieber das Gehör mitsammt dem Geruch verlieren,
ehe es blind sein müsste. Denn wer das Gesicht verliert,
verliert die Schönheit der Welt mitsammt allen Formen der
geschaffenen Dinge, und der Taube geht blos des Tones ver-
lustig, der durch die Bewegung der erschütterten Luft hervor-
gebracht wird, und das ist doch in der Welt etwas sehr Ge-
ringfügiges. Du, der du sagst, eine Wissenschaft sei in dem
Grade vornehmer, in dem der Gegenstand würdiger sei, auf den
sie sich erstreckt, und es habe deshalb eine falsche Einbildung
vom Wesen Gottes mehr Werth, als die Vorstellung einer
Sache von minderer Würdigkeit, dir werden wir darum sagen:
die Malerei, die sich einzig auf die Werke Gottes erstreckt,
ist würdiger als die Poesie, die sich nur auf lügenhafte Er-
dichtungen menschlicher Werke ausdehnt.
Mit gebührender Klage beschwert sich die Malerei, dass
sie aus der Zahl der freien Künste ausgestossen sei, denn sie sei
eine echte Tochter der Natur und werde vom vornehmsten
Sinn betrieben. Daher habt ihr Schreiber sie mit Unrecht aus
der Zahl besagter freien Künste fortgelassen, denn sie bestrebt
sich nicht nur um die Werke der Natur, sondern noch um
zahllose andere, welche die Natur nimmer schuf.
Nr. 31. 28. Abschluss zwischen Dichter und Maler.
Nachdem wir zu dem Schluss gekommen, die Dichtkunst
eigne sich im höchsten Grade für das Verständniss der Blinden,
und die Malerei ebenso für das der Tauben, werden wir sagen,
die Malerei gelte um so viel mehr als die Poesie, als der Sinn, dem
klingende Verhältnissmässigkeit bildet. Sie befriedigt den Geist
des Hörers oder Beschauers nicht, wie die Proportionalität
dieser so sehr schönen Gliedtheile, welche zusammen die
göttlichen Reize des da vor mir stehenden Angesichtes bilden,
die, alle in den gleichen Augenblick vereint, mir mit ihrem
göttlichen Verhältnisse so grosses Wohlgefallen verursachen, dass
ich meine, es könne nichts anderes auf Erden, das Menschen-
werk ist, grösseres gewähren.
Es gibt kein so sinnbethörtes Urtheil, das, wenn ihm die
Wahl vorgelegt würde, entweder in ewiger Finsterniss zu ver-
harren, oder das Gehör zu verlieren, nicht augenblicks sagte,
es wolle lieber das Gehör mitsammt dem Geruch verlieren,
ehe es blind sein müsste. Denn wer das Gesicht verliert,
verliert die Schönheit der Welt mitsammt allen Formen der
geschaffenen Dinge, und der Taube geht blos des Tones ver-
lustig, der durch die Bewegung der erschütterten Luft hervor-
gebracht wird, und das ist doch in der Welt etwas sehr Ge-
ringfügiges. Du, der du sagst, eine Wissenschaft sei in dem
Grade vornehmer, in dem der Gegenstand würdiger sei, auf den
sie sich erstreckt, und es habe deshalb eine falsche Einbildung
vom Wesen Gottes mehr Werth, als die Vorstellung einer
Sache von minderer Würdigkeit, dir werden wir darum sagen:
die Malerei, die sich einzig auf die Werke Gottes erstreckt,
ist würdiger als die Poesie, die sich nur auf lügenhafte Er-
dichtungen menschlicher Werke ausdehnt.
Mit gebührender Klage beschwert sich die Malerei, dass
sie aus der Zahl der freien Künste ausgestossen sei, denn sie sei
eine echte Tochter der Natur und werde vom vornehmsten
Sinn betrieben. Daher habt ihr Schreiber sie mit Unrecht aus
der Zahl besagter freien Künste fortgelassen, denn sie bestrebt
sich nicht nur um die Werke der Natur, sondern noch um
zahllose andere, welche die Natur nimmer schuf.
Nr. 31. 28. Abschluss zwischen Dichter und Maler.
Nachdem wir zu dem Schluss gekommen, die Dichtkunst
eigne sich im höchsten Grade für das Verständniss der Blinden,
und die Malerei ebenso für das der Tauben, werden wir sagen,
die Malerei gelte um so viel mehr als die Poesie, als der Sinn, dem