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hof gefunden ist, der, weil innerhalb des geschlossenen Klo-
sterbezirks liegend, nicht für Laien bestimmt sein kann, so
muß ein Laienfriedhof außerhalb des Klosters in der Nähe
der Siedlung angenommen werden, d. h. auch der Platz des
Friedhofs von St. Johann muß ursprünglich sein. Die Tauf-
kapelle lag dann entweder an dem Platz der späteren Pfarr-
kirche oder wenigstens im Zusammenhang mit dem Friedhof;
vielleicht sind in den südlich der Bibliothek gefundenen Fun-
damenten Mauerreste von ihr erhalten.
2. Verhältnis zum sog. St. Galier Klosterplan
Mit den vorstehenden Überlegungen ist die älteste Kloster-
anlage mit hoher Sicherheit und geringem Fehlerrest wieder-
gewonnen. Auf ihrer Fläche haben jedenfalls außer den
bereits bekannten Gebäuden keine bedeutenden Bauten mehr
Platz. Sie läßt sich nun als Typus beurteilen und mit dem ein-
zigen voll überblickbaren Beispiel einer karolingischen Klo-
steranlage, dem sog. St. Galier Klosterplan, in Vergleich
setzen. Auf die Gesamtheit der Fragen, welche dieser Plan
für sich und durch seine Beziehung zu Reichenau aufgibt,
kann erst im Abschnitt der karolingischen Kirchenbauten ein-
gegangen werden. Hier kommt es vorerst auf den Vergleich
der Anlagen als Ganzes an54.
Gemeinsam ist beiden Plänen die Lage der Klausur fernab
von der Außenwelt, durch Kirche, Nebengebäude und ein-
gefriedigte Geländeflächen von ihr abgetrennt. Auch die Ver-
teilung der Gebäudearten ist im großen und ganzen die
gleiche, so, daß die Wirtschaftsbetriebe beim Klosterzugang
liegen, Krankenhaus, Friedhof, Garten, Geflügelhof nach hin-
ten. Damit sind die Vergleichsmöglichkeiten erschöpft und
die beiden Pläne nicht mehr weiter in Beziehung zu bringen.
Das ist aber auch verständlich, wenn man die Bestimmung
dieser Pläne berücksichtigt. In Reichenau liegt der höchst be-
scheidene, aber der Wirklichkeit entsprechende Bedarf eines
in seinen wirtschaftlichen und anfangs auch politischen Ver-
hältnissen noch nicht gefestigten Klosters vor. Der St. Galier
Plan aber als — um ein Ergebnis späterer Untersuchung vor-
wegzunehmen — Musterplan der Reform Benedikts von
Aniane, durch eine große Synode anerkannt, rechnet mit
Höchstforderungen und reichsten Mitteln. Das Verhältnis
beider Pläne ist wie das von Dorf und Stadt, um nicht zu
sagen von Praxis und Theorie.
Aufschlußreich ist eine Durchsicht derjenigen besonderen Ge-
bäude des St. Galier Plans, die in Reichenau fehlen. Es sind
zunächst die Gebäude, mit denen das Kloster seine Bedeutung
als Reichsabtei nach außen hin hätte zeigen können: Abts-
pfalz, Rasthaus für vornehme Gäste, Äußere Schule für deren
Söhne. Es fehlt auch das große Volkskrankenhaus. Weiter
fehlen die zahlreichen Häuser für gewerbliche Betriebe aller
Art. Das ist besonders wichtig, weil der Plan nach dem Wort-
laut der Widmung Heitos die »positio officinarum« dem
Empfänger Abt Gozbert zeigen sollte. Das Wort offlcina kann
nun nicht, wie es geschehen ist55, mit claustrum gleichgesetzt
werden. Das Entscheidende ist das Wort positio: Abt Heito
54 Auf den Abdruck des St. Galier Plans darf hier als allgemein
bekannt, bzw. in allen Kunstgeschichten zu finden, verzichtet
werden.
65 J. Hecht, a. a. O. Seite 25 Anm. 1 und Seite 26. Die Behauptung
Hechts, Ferd. Keller habe den Text der Widmung und seine Stelle
mit keinem Wort erwähnt, ist unzutreffend; die Angaben Kellers
stehen S. 11 Zeile 10 und S. 11 Zeile 12 ff.

will zeigen, wie die Werkstätten im Gefüge einer großen
Klosteranlage zu legen sind. Wenn nun diese großen Werk-
stättengebäude in Reichenau weder der Zahl noch der Lage
nach vorhanden waren, sondern überhaupt fehlten, so kann
Heito sein Kloster auch nicht als Vorbild für den Plan benutzt
haben. Mindestens die positio, wenn nicht der Grundriß der
dargestellten Werkstättengebäude, müssen für Gozbert wie
für Heito etwas Neues gewesen sein, das heißt: der sogenannte
St. Galier Plan ist auswärtigen Ursprungs. Weiteres muß auf
den Abschnitt Karolingerbauten verschoben werden. Für den
Reichenauer Klosterplan ist aber endgültig die Erkenntnis
gesichert, daß er eine selbständige, offenbar auf alter klöster-
licher Baugewohnheit beruhende, und den örtlichen Verhält-
nissen geschickt angepaßte Lösung darstellt.
3. Weiterentwicklung im späteren 9. und im 10. Jahrhundert
Es ist nun durchaus möglich, mittels ähnlicher Untersuchun-
gen, wie sie im Vorstehenden auf Grund des Gemarkungs-
plans von 1702 (Abb. 3, 4) für die Klosteranlage des 8. und be-
ginnenden 9. Jahrhunderts angestellt worden sind, auch die
Zustände des späteren 9. und 10. Jahrhunderts — von da an
bietet die Entwicklung nichts Bemerkenswertes mehr — wie-
derzugewinnen. Die Rekonstruktionen wären aber damit be-
lastet, daß für die nun folgenden zahlreichen kleinen Kapel-
lenbauten der Aufstellungsplatz meist nicht oder nur allge-
mein bekannt ist. Deshalb wird auf Rekonstruktionspläne
verzichtet und nur über die großen Züge der Entwicklung
folgendes mitgeteilt:
Die Veränderungen am Münster im späteren 9. Jahrhundert
haben den Klosterplan nicht beeinflußt. Der Umbau Witi-
gowos am Ende des 10. Jahrhunderts hat auf dem karolingi-
schen Kirchenvorplatz ein Paradies erstellt, das am Kloster-
bezirk ebenfalls nichts grundsätzlich änderte.
Den ersten Zuwachs brachte der Bau der Pelagiuskirche mit
ihrem Kanonikeranwesen (s. oben) nach 904. Ihrer Lage an
der Einmündung der Burgstraße in die Ortsstraße, vom Klo-
ster völlig getrennt, nach zu urteilen, kann man Gall öhems
Meinung, daß sie »vor jaren des münsters pfarrkilch« ge-
wesen sei (Br. 34, I), insofern beipflichten, als man ihr den
Charakter einer Wegkapelle zuerkennt, die der Bevölkerung
mindestens für private Andachten oder kleinere Gottesdienste
den Weg zur Klosterkirche ersparte.
Den nächsten der Zeit nach bekannten Gebietszuwachs
brachte die Erstellung der Pfarrkirche St. Johann in der zwei-
ten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Sie wurde, aller Wahrschein-
lichkeit nach, von Anfang an mit dem Klosteranwesen durch
eine Umfriedung verbunden, so daß dann der Klosterbau des
17. Jahrhunderts im vorhandenen Klosterbezirk blieb. Für
diese Erklärung spricht vor allem die Lage der Kirche, die an
der dem Kloster zugewendeten Seite des Friedhofs, wo auch
eine Türe liegt, gewählt wurde und nicht an der Straße.
4. Die Marktfrage
Nicht ohne weiteres aus dem Gemarkungsplan oder den
Schriftquellen abzulesen sind die Zeit und der Grund der Ent-
stehung des Burgplatzes mit den Herrenhöfen. Hierzu soll,
um den Rahmen dieser Ausführungen nicht zu überschreiten,
ebenfalls kurz folgendes bemerkt werden:
Der Platz ist von K. Beyerle (KAR. 513 ff.) als zweiter Markt
des Klosters angesprochen worden, der im späten 12. Jahrhun-
dert unter Abt Diethelm von Krenkingen (1169—1206) an-

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