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Repertorium für Kunstwissenschaft — 6.1883

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Litteraturbericht
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302

Litteraturbericht.

Bernardo Pinturicchio’s erscheint die alles Interesses für die Vergleichung ent-
behrende Schrift Robert Kahl’s. Auf dem Gebiete der Kunstgeschichte be-
gegnen leider noch immer solche Nachlässigkeiten, für welche man bei Publi-
cationen in den streng historischen Fächern ein bezeichnenderes Wort finden
würde. Vergleicht man zu den Proben im Skizzenbuche die Worte auf der
schon angezogenen Oxfordzeichnung (Robinson 5): »carissimo quanto fratelo
(sic)« und die Zeilen auf der »cavalcata« mit ihren der römischen Gapitale
nachgebildeten Majuskeln, ihrem gleichmässigen Federzuge, so gibt sich Pin-
turicchio als ein sorgfältig unterrichteter Mann zu erkennen. Auch der bekannte
Brief an die Balia in Siena zeigt wie gut er sich in den antikisirenden Phrasen
der zeitgenössischen Litteratur zu bewegen weiss, während zugleich seine durch-
dachten mythologischen Erfindungen auf ausgebreitetere Lectüre hinweisen.
Um Genga’s Autorschaft glaublich zu machen, wird eine erfundene Ent-
wicklung des Künstlers mit Absehen von seinen unzweifelhaften Werken vor-
geschlagen. Er soll einen starken Eindruck von Pinturicchio empfangen haben,
ihm vielleicht Studien für die Libreriabilder geliefert haben etc. Gerade das
von Kahl als irrelevant erklärte Bild in der Brera beweist, dass Genga aus-
schliesslich unter dem Einflüsse Signorelli’s geblieben ist, dass von einer umbri-
schen Periode überhaupt keine Rede sein kann. Was ihn von Signorelli
unterscheidet, ist eine gewisse ferraresisch-bolognesische Sentimentalität; er
muss in seiner Jugend, wie sein Landsmann Timoteo Viti, von der Werkstatt
des Francia beeinflusst worden sein. Trotz mancher Divergenzen möchte ich
doch die Lectüre von Kahl’s Buch jedem empfehlen. Eine genaue Betrachtung
der einzelnen Zeichnungen, zu welcher die eingehende Beschreibung zwingt,
wird wenigstens die letzten Zweifel heben, dass die Hand Raphael’s noch dabei
in Frage kommen könnte. Das hübsch illustrirte Buch ist Professor M. Thau-
sing gewidmet. • Franz Wickhoff.
Schrift, Druck, graphische Künste.
Von Berlin nach Danzig. Eine Künstlerfahrt im Jahre 1773 von Daniel
Chodowiecki. Berlin, Amsler u. Ruthardt.
In unserei’ Zeit der Eisenbahnen können wir uns kaum denken, wie
vor hundert Jahren eine längere Reise beschaffen war. Etwa aufbewahrte Reise-
beschreibungen jener Zeit, wo selbst noch die Postkutsche sich im Stadium
primitiver Entwicklung befand, werden darum bei den heutzutage fleissig be-
triebenen Gulturstudien mit grossem Interesse zur Hand genommen. Wie
muss aber dieses Interesse um so lebhafter werden, wenn der reisende Schrift-
steller zugleich ein vorzüglicher Künstler ist, der seine Beobachtungen durch
das Bild illustrirt. Und ein feiner Beobachter seiner Umgebung war Chodo-
wiecki eben so gut, wie ein trefflicher Zeichner. Chodowiecki, in Danzig 1726
geboren, ging als angehender Lehrling eines Spezereigeschäftes 1740 nach
Berlin, aber der angeborne Kunstgenius fand hier Gelegenheit, allen Schwierig-
keiten zu Trotz sich freie Bahn zu machen. Sein Künstlerruf war bereits
sehr ausgebreitet, als er sich 1773 entschloss, eine Reise nach seiner Vater-
stadt zu machen, um seine betagte Mutter, die daselbst mit zwei Töchtern
 
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