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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Supper, Auguste: Johann Kusterer auf Abwegen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0161

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Iohann Kusterer auf Abwegen.

über die Wiese geht, die so sumpfig ist, und die srüher
ein Hochmoor war, wenn er sich dann wieder und
wieder nach Gräsern und Kräutern bückt und halb-
stundenweis den Fröschen zusieht, dann sieht dieser ein-
same Mann im schwarzen Rock wohl aus wie einer,
der in allerlei verborgenen Dingen Bescheid weiß; aber
zugleich auch wie einer, der gern sür sich behält, was
er weiß.

Und noch ein drittes Bedenken: Der Johann geht
und ging, solange er denken kann, nur alle andern Sonn-
tag in die Kirche. Das ist sein Brauch so, er weiß
selbst nicht warum; und er möchte diesen Brauch um
keinen Prcis ändern.

Da wäre es denn leicht möglich, daß der Herr
Psarrer, wenn der Kusterer mit einer Frage käme, in
seiner vornehmen Sprache antworten würde: „Ja, mein
lieber Freund, das habe ich erst letzten Sonntag erklärt."

Der Johann müßte dann bekennen: „Herr Pfarrer,
letzte Sonntich ischt 's net an mir g'wä."

Würde da nicht der Psarrer große Augen machen
und sagen: „Ein guter Christ usw."

Nein, lieber nicht.

Dann ist weiter der Schulmeister. Der muß ja
von Gottes und Rechts wegen auch inehr wissen als
andere Leute.

Und er weiß auch mehr. Aber was? Daß Kainit
und Thomasmehl über Kuhmist gehen, und daß jeder
Bauer em Dummkopf ist, der Brachseld liegen läßt.
Und was solche Sachen mehr sind. Ein Neunmal-
gescheirer ist dcr Schulmeister. Schwätzt ins Bauern-
geschäst und hat doch bloß auf den Schulmeister gelernt.

Mit sorgenvollem Gesicht sitzt der Kusterer am
Galgenwasen aus dem Eichenstumpf. Er würde höchst-
wahrscheinlich nie erfahrcn, wie es der liebe Herrgott
bei der Auserstehung hält mit denen, die im Mcer von
den Fischen gesresten, oder am Land von den wilden Tieren
zernssen worden sind. Oder warum der Mond nicht wie
die Sonne immer gleich groß und gleich hell ist, oder
warum die drei Sternc einmal über deö Margretles
Scheune und eimnal bintcr dem Kirchturm stehen und
waö dergleichen sonderbare Dinge mehr sind.

Ganz drüben über dem Galgenwasen, der wie ein
in hohen, grünen Wellen erstarrtes Meer sich nach dem
Walde dehnt, zieht auf der Landstraße cine Schasherde
dahin.

Der Bauer mit seinen wässerigen, sernsichtigcn Augen
kann deutlich die einzelnen gelbbraunen, brciten, wolligcn
Rücken, die unruhig wogend aus und nieder geben, unter-
scheiden.

Er sieht auch den Mann, dcr iin alten, doppelten
Kragenmantel, den schwarzen, schweren Persiancrpelz am
Hals, den Schlapphut in der Stirne, die Schippe in
der Hand, mit wiegenden, weiten Schritten inmitten der
Herde geht.

Ja, sogar den Hund kann er untcrscheiden, der eifrig
rundum läust, die Vorhut zurückbält und Nachzügler
zur Eile mabnt. Jn Johann KustererS Gesicht kommt
eine Unrube, als sei ein Gedanke darüber hingefahren.
Dolch ein ungerufener und ungebetener Gedanke, den
man lieber nicht hätte, und der sich doch auch nicht
abweisen läßt.

Wie wärs, Johann, wenn du den Mann bei der
Herde dort, den Stasele, einmal sragen würdest über
das und das?

Der Bauer schüttelte den Kopf, daß die Quaste der
schwarzen Zipselmütze ihm ans Ohr schlägt.

— — Den Schäser! — — was ist denn ein Schäfer?
Ein Tagdieb, wenn mans recht sagen will. Man bringt
ihm die Schafe und versieht sich zu ihm, daß er sie
weide und leite, daß die Mutterschafe alle werfen, daß
die Hämmel fett werden, und daß die Wolle auf den

breiten Rücken dicht und fein und reichlich ausfalle;-

aber sonst bcsieht man den Schäfer weiter nicht.

Und der Stascle — der ist nicht nur cin Tagdieb,
der gilt für einen Himmelsakkermenter! — Gewiß weiß
niemand, ob er wirklich einer ist. Aber er gilt dafür.
Und das ist gerade bei diesem Metier die Hauptsache.

Es weiß auch niemand, was ein Himmelsakkermenter
eigentlich ist. Aber daß es solche Kerle gibt, das weiß
man. Und das ist wieder die Hauptsache.

Und zu allem Überfluß ist der Stasele auch noch
katholisch. Ein katholischer Himmelsakkermenter. Das ist
ein Superlativ, wie wenn man den Teufel mit Tinte
spritzte.

Anastasius Weireter heißt der Schäfer. Das genügt.

Jst da mitten inö gut protestantische Umland hinein-
gesprenkt ein kleines, armes Dorf, an dessen äußerstcn
Markungsflanken die steinernen Kruzifixe stehen wie stille,
fremde Grenzwächter. Die evangelischen Bauern, die
dort in der Nähe hinterm Pfluge gehen, blicken scheu auf
die Bildsäulen.

Keinen Zentimeter zu weit kommt der Pflugstcrz
hinüber gegen das Land, daö der starre, steinerne Mann
mit den verzerrten Zügen bewacht.

Die evangelischen Kinder, die am Waldsaum Hasel-
nüsse holen, deuten mit ausgestreckten Fingern und bangen
Gesichtern auf den hängenden Heiland, dem das Blut
unter der Dornenkrone hervorsickert und dic Marter im
grauen, steinernen Gesicht zu lesen steht.

„Siehst des katbolisch Herrgottle?"

Ia, sie sehens, und sie fürchten sich. Um keinen Preis
der Welt würde eincs von ihnen allein bei Nacht da
vorübergehen. Unheimlich ist der katholische Herrgott!
Sie sind froh, daß sie einen andern, einen eigenen haben.

Und durchs Dörflein Unterweiler, in dem von mancher
Hausecke ein buntes Marienbild grüßt, schreiten die Leute
von Oberweiler nur, wenn es sein muß. Und dann
rascher, als sonst ihr Brauch ist, und ohne nachbarlichen
Zuruf nach den kleinen Fenstern hinauf.

Händel und Streit gibts nicht auf der Höhe. Wegen
dcm Glaubcn schon gar nicht! Behüt mich Gott! Aber
wenn einem Baucrn von Unterwcilcr die magere Kuh
das schwere Güllenfaß nicht ziehen will, so schreit er
zur Aufmunterung: ,^Hü —oh, du lutherischer Siech!"
Und wenn einem von Oberweiler etwas krumm geht,
dann fährt er auf: „'s Donnerwetter soll 'neischlage, des
ischt grad zum Katholischwerde."

Hell und rasch mit seltsam schetterndem Klang
rust die Glocke von Unterwciler über die Höhe. Sie
läutet katholisch.

Die Hunde bellen, die Kühe brüllen, die Hähne
krähen in Unterwciler katholisch.

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