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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 4
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Hashagen, Justus: Napoleon und die Rheinlande
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0168

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Napoleon und die Nheinlande.

Veteranen die Erinnerung an eine ftolze Vergangen-
heit treulich gepflegt.

Aber die rheinische Begeifterung für Napoleon den
Kriegshelden erscheint doch bescheiden, wenn man sie
mit der Begeifterung sür Napoleon den Friedefürsten
vergleicht. Er hat die Kriegssurie dem Lande dauernd
fernzuhalten vermocht. Während sast alle andern deut-
schen Länder 18O5, 18O6/O7, 18O9, 1813 immer wieder
von den seindlichen Kriegsvölkern heimgesucht werden, bleibt
das Rheinland verschont, hat im Gegenteil von den
Durchzügen der sranzösischen Truppen oft nennenswerten
wirtschaftlichen Vorteil. Und das vom Kriege erlöfte
Land hat der Kaiser mit Segnungen des Friedens in
reichfter Fülle überschüttet. Er ist der große, unvergleich-
liche Friedefürft: daö wird ihm immer wieder gesagt
in unzähligen Preisliedern, Empfangsgedichten, Festreden,
Zeitungsartikeln, in der Schule, auf dem Theater, in
der Kirche. Denn auch der Kirche hat er den Frieden
wiedergegeben. Er hat vor allem im Innern die Revo-
lution geschlossen und ihre größten Errungenschaften auch
sür das Rheinland gerettet. Jhm hat man es zu ver-
danken, daß all das Blut in Pariö nicht umsonst ge-
slossen ist.

Die Rheinländer haben ein lebhaftes Gefühl dafür,
daß er schon als Erster Konsul nach den wilden Jahren
des Direktoriums, die teilweise auch aus ihnen schwer
gelaftet haben, Ruhe und Ordnung wiederherstellt. Des-
halb seiern ihn schon die rheinischen Republikaner vor
allem als Friedefürsten, wie etwa Friedrich Lehne in
Mainz 1799. Seine Ode spricht wohl von dem Kriegs-
helden auf „Lodis Leichen-Brücke" und „vor Arkoleö
Wällen". Aber dann heißt es sofort:

Sch'ön ist zwar die Lorbeer-Krone,

Die dein junges Haupt umweht,

Aber schöner, die zum Lohne
Dir die Menschheit zugesteht;

Schöner sind die Palmenzweige,

Die sie um das Schwert dir wand,

Da an des Jahrhunderts Neige
Sie durch dich den Frieden fand.

Oder später der Kölner Maire an den Präfekten in
Aachen, als I8OZ Napoleons Besuch bevorfteht: Darf
sich unsere Stadt schmeicheln, den philosophischen Helden,
den Friedebringer, den Glückspender in ihren Mauern
zu sehen? Oder 18O6 in einer Rede vor dem Munizipal-
rat: Napoleon hat rmr gesiegt, um der Welt den Frieden
zu geben. Die Kriege werden — der Krieg mit Preußen
solgt wenige Monate später! —immer unmöglicher werden.
Denn Napoleons Größe liegt vielmehr in den Werken
des Friedens. Deshalb vergleicht man ihn auch so gerne
mit Karl dem Großen. Alle alten Aachener Erinnerungen
werden dafür ausgeboten. Die Kirche tritt hinzu, sie
selbst die Friedenspalme in der Hand. Alle die sonft
so vagen und zerstreuten politischen Stimmungen im
Rheinlande finden sich hier um diese leuchtende Persön-
lichkeit zusammen und ringen sich zur Klarheit durch,
weil sie einig sind in Bewunderung sür den napoleonischen
Friedensstaat. Es setzt sich daö Urteil in der öffentlichen
Meinung am Rheine sest, daß der Kaiser kein größeres
Ideal kenne, als den Frieden. Immer, wenn er gegen
mißgünstige Feinde jenseits des Rheines in den Kamps
zieht, tut er es nur gezwungen. Er will nichts sür

fich erreichen, sondern nur mit dem Kriege Krieg sühren,
wie in einer Adresse der bergischen Stände von I8O6
zu lesen ift. Das ift in der Tat die populäre Vorstellung
am Rheine. Wenn die rheinischen Beamten von dem
Kaiser sprechen: das ift ihr Thema. Hier, wiffen sie,
sind sie Organe der Volksstimmung und dürfen deshalb
Phrase an Phrase reihen. Wie es ja auch im übrigen
Deutschland damalö geschieht, so daß Görres recht hat,
wenn er Napoleon später die Worte in den Mund legt:
„Als ich sie mit Peitschen schlug und ihr Land zum
Tummelplatz des ewigen Kriegs gemacht, haben ihre
Dichter als den Friedensstifter mich gepriesen."

Phrasen aber sind das nur sür die äußere, nicht für
die innere Politik. Im Innern begegnen wir am Rheine
überall den tiefen und noch heute sichtbaren Spuren
der sriedespendenden Herrschaft. Napoleon ist einer der
verständnisvollften Förderer des materiellen Wohles, die
jemals am Rheine geherrscht haben. Er ist der große
Straßenerbauer. So preift ihn noch heute die dankbare
Provinz. Er ist ein Gesetzgeber des Friedens. Es gibt
zu denken, daß gerade die Iuriften in der ersten Reihe
der Napoleonsbewunderer erscheinen. „Ihre Gesetze sind
mächtiger als ihre Waffen," so tönt es ihm in Düssel-
dorf 1811 entgegen, und so wird er selbst in Reden von
Präsidenten der neuen Geschworenengerichte gefeiert. Der
Code wird höher bewertet, als manch einer seiner Siege.
Mit Genugtuung stellt man sofort nach der Einführung
sest, daß seine Klarheit die Schatten des alten deutschen
Rechtes vor sich her treibe.

Nicht nur alö Kriegsheld und Friedefürft, ssusiwisi-
und paeiü6Ätsui- — man liebt diese Iusammenstellung —
wird der Kaiser am Rheine verehrt, nicht nur als Be-
freier des Handels von den Binnenzöllen, der Gewerbe-
versaffung, der Proteftanten, der Iuden, sondern auch
ganz allgemein als Befreier des Bürgertums. Das
Empire ift demokratisch, wenigftens in der Richtung,
daß der Aufstieg aus den Niederungen der Gesellschaft
in die höheren Schichten Keinem verwehrt ist. Es wird
nicht nach der Geburt und der Konseffion gefragt,
sondern nach der Tüchtigkeit. So selbstherrlich der
Kaiser sonst auftritt, er hat den selbständig aufstrebenden
Kräften keine Hinderniffe in den Weg gelegt; überall am
Rheine: in der Armee, in der Kirche, in der Verwaltung,
in der Iuftiz begegnen wir den neuen Männern.

Als kostbare politische Frucht dieser durch Napoleon
vor allem bewirkten Befreiung des rheinischen Bürger-
tums erscheint der Gedanke des allgemcinen Staats-
bürgertums, der sich damals zuerst in der rheinischen
Geschichte durchgesetzt hat. Nicht ständisch abgesperrte
Untertanen sind die Rheinländer unter Napoleon mehr,
sondern eine grundsätzlich unterschiedslose, gleichbehandelte,
gleichberechtigte, vor Gesetz und Abgabe gleichgestellte,
aber auch gleichverpslichtete Maffe von Citoyens. Das
Wort Citoyen hat seinen republikanischen Charakter natür-
lich längft eingebüßt. Aber es ist damit nicht inhalrlos
geworden, sondern es besagt, daß es keine Privilegien
mehr im Staate gibt, keine Zwischeninstanzen mit außer-
ftaatlichen Befugnissen zwischen dem Staate und dem
Individuum. Dieser Gedanke des allgemeinen Staats-
bürgertums ist auch unter preußischer Herrschaft als
unverlierbare Erbschaft der sranzösischen Zeit bezeichnet


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