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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Rüttenauer, Benno: Goethe und Sulpiz Boifferée
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0198

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Goethe und Sulpiz Boifferoe.

macht hat, von dessen Weisheit er sich lange Ieit nur
die zweite Hälfte hatte gesagt sein lassen:

„Wie aber kann sich Hans van Eyck
Mit Phidias nur messen?"

Ihr müßt, so lehr ich alsogleich,

Einen um den andern vergessen.

Denn wärt ihr stets bei Einer geblieben,

Wie könntet ihr noch immer lieben?

Das ist die Kunst, das ist die Welt,

Daß eins ums andere gefällt.

Die Hoffnung der Brüder Boisserse, Goethe sür
die Sache zu gewinnen, die sie als ihre große Lebens-
ausgabe betrachteten, an die sie Kraft, Ieit und Ver-
mögen wendeten, war ansangs sehr gering; Goethe
stand bei ihnen und in ihrem Sinn im denkbar
schlechtesten Ruf. Friedrich Schlegel mag dazu nicht
wenig beigetragen haben - er offenbart sich überhaupt
in seinen Briefen an Sulpiz als ein ganz bedenklicher
Charakter und rechtsertigt durchaus das harte Urteil
Goethes über ihn, das ich lange Ieit sür ungerecht und
unbegründet gehalten hatte. Unbeirrt von seinen Ein-
flüssen blieb Freund Bertram.

Dieser Johann Bertram, frommer Katholik wie die
Boisserse, hat nicht nur den jungen Sulpiz endgültig vom
Kontor weggelockt und den sreien Künsten entgegengeführt,
er hat ihn auch aus dem seichten Hamburger Seewasser,
pardon, Teewasser der Raimariustafelrunde — das sind
ungefähr Goethes Ausdrücke (es mußte einer eine gute
Natur haben, wenn er darin nicht krepierte) - glücklich
herausgefischt und an die Quellen geleitet, wo freilich
nicht immer die blaue Blume blühte. Und er hat außer-
dem an dem Lebenswerk der Brüder, ihrer Propaganda
sür den Dom und die altniederrheinische Malerei sort-
gesetzten tätigen Anteil genommen und wie sie bedeutende
materielle Opfer dafür gebracht. Sein Name fteht aber
weder im Brockhaus noch im Meyer. Er hat nun
allerdings daö große Publikum nicht an seine Tafel
geladen. Aber seinen nächsten Freunden — ich schließe
es besonders aus den Briesen Friedrich Schlegels —
scheint er köstliche Schmäuse gegeben zu haben, und
vielleicht fühlt sich ein näherer Landsmann (dem etwa
Familienpapiere zugänglich sind) von meinen Bemerkungen
angeregt, eine Monographie über den Vergessenen zu
schreiben; ich meine, daö müßte keine undankbare
Sache sein.

Bertram hat sich, sagte ich schon, obwohl er der
ausgesprochenfte Romantiker war, am wenigsten an
Goethe irre machen lassen. Eine Stelle aus einem
Bries an Sulpiz vom 15. Juli 1811 zeigt dies in schönster
Weise, ja ich möchte behaupten, daß Schöneres über
Goethe nicht allzuoft gesagt worden ist. Sicher nicht
in jener Ieit. Die Stelle aber lautet: „ . . . lies den
mit Auftnerksamkeit (den Prolog zum Fauft) und frage
dich selbst, ob dieser Mann, der mit der höheren
Empfänglichkeit für geiftige Wechselwirkung unter dem
chaotischen Vernichten und Wiedergebären der Ieit einsam
dafteht, nicht daö bessere Streben der Iugend freudig
anerkennen wird, wenn sie ihm die neu errungene Ansicht
versöhnend und vermittelnd entgegenbringt, offen und
frei, wie die Redlichkeit der Gesinnung es erheischt, aber
auch ohne herben Widerspruch, (so eben) wie die

gegründete Achtung sür den seltenen Genius eö sordert.
Daß der, welcher am mächtigsten auf seine Ieit gewirkt,
in dem verödeten Gebiet der Poesie die Keime neuen
Lebens aufgeregt und in den manigfaltigften Formen
und Gestalten entwickelt hat, für das Bessere, was die
Ieit in ihrem Fortschritt wirklich zutage gefördert, nicht
ganz unempsänglich geblieben, das hat er oft durch

Wort und Tat bewiesen; seine kalte vornehme Iurück-
gezogenheit mögen die ihm wenigstens nicht verargen,
die, von revolutionärem Schwindelgeist ergriffen, die
Widersprüche schonungslos auf die höchfte Spitze trieben
und, als die gute Sache Raum gewann, nur nach

individuellen Absichten lenkten und als die Verkünder

des neuen Evangeliums die Richterstühle in Jsrael
allein sür sich in Anspruch zu nehmen bemüht waren.
Was hat denn der Alte sür Wahl gehabt? Stupide
oder absichtliche Bewunderer, und Narren und Extra-
vaganten . . ."

Daß das Wort von den Richterstühlen in Israel

aus gewisse Romantiker und wahrscheinlich auf Freund
Schlegel selber paßt, ift kaum zu bezweifeln und, alö
von einem Romantiker ausgehend, in hohem Grade
interessant.

Bertram hat sich in Goethe nicht geirrt. Der „Alte"
hat sich nicht nur für die Sache gewinnen lassen, sondern
auch, oder noch mehr, sür die Personen; er trat zu
Sulpiz Boisserse in ein ganz herzliches Verhältnis, das
als freundschaftliche Neuanknüpftmg in seinem letzten
Lebensdrittel einzig dasteht und durch den ungeheuern
Alteröunterschied — Goethe war zweiundsechzig, Boisseröe
achtundzwanzig — gewiß noch merkwürdiger erscheint.
Ein durch über dreißig sich hinziehender Briefwechsel —
der sreilich von seiten Goethes trotz aller Freund-
schaftlichkeit incht immer sehr ausgiebig ift — bildet ein
ewiges Denkmal eines menschlich schönen Verhältnisses.

Den Verlauf der erften Anknüpfung aber schildert
Sulpiz in anderen Briefen und Tagebüchern, erstere
meist an Bertram und Bruder Melchior, und er tut
dies auf eine so geistreiche Art, daß dabei sowohl die
Persönlichkeit Goethes als auch seine eigene charakteristisch
und interessant hervortreten.

Gleich im ersten Bericht (an Melchior, 5. Mai 1811):
„Ich komme eben von Goethe, der mich recht steif und
kalt empfing, ich ließ mich nicht irre machen und war
wieder (ebenfalls) gebunden und nicht untertänig. Der
alte Herr ließ mich eine Weile warten, dann kam er
mit gepudertem Kopf, seine Ordensbänder am Rock;
die Anrede war so steif-vornehm als möglich. Ich
brachte ihm eine Menge Grüße. ,Recht schön/ sagte
er. Wir kamen gleich auf die Ieichnungen (usw. . . .).
,Ia, ja, schön, hem, henü. . . Ich hatte mir einmal
vorgenommen, der Vornehmigkeit ebenso vornehm zu
begegnen, sprach von der hohen Schönheit und Vor-
trefflichkeit der Kunst im Dom so kurz als möglich,
verwies ihn darauf, daß er sich durch die Ieichnungen
ja selbst davon überzeugt haben werde, - er machte bei
allem ein Gesicht, als wenn er mich sressen wolle. Erft
als wir von der alten Malerei sprachen, taute er etwas
auf, bei dem Lobe der neugriechischen (byzantinischen)
Kunst lächelte er — (man kann sichs denken) -; er
sragte nach Eyck, bekannte, daß er noch nichts von ihm

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