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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 5
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Jacques, Norbert: Mariens Tor: eine Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0209

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Mariens Tor.

Prieftergesänge am Altar und wehten die duftenden
Weihrauchschleier. Die Orgel brauste hinein. Oben in
der Tiefe der Hallen strömte alles zusammen nnd be-
gann zu warten.

Stanislaus lag an die Säulc gelebnt, Augen und
Herz feurig geöffnet. Er schlug in den Wogen all dessen,
was um ihn war und geschah, mit heißem Blut hin
und her, und seine Sehnsucht strömte in einem un-
unterbrochencn, zehrenden Strom zu dem Heiligenbild.
Um ihn gingen und kamen und wechselten die Betenden.
Er wuchs an die Säule sest und lag an ihr, mit zurück-
geneigtem Kops das Bild zu schauen. Daö dauerte
stundcnlang. Er kannte keinen Anfailg und kein Ende.
Sein Zustand war ein Fließen von Zärtlichkeit, das nie-
mals in ibm begonnen zu haben schien; er dachte auch
nicbt daran, daß es einmal aufhören müßte. Sein
ganzes Leben trieb mit in dieser Flut. Er übersah mit
glücklichem Auge lächelnd seine Enttäuschungen, scin fort-
währendes Hinabgleitcn, seine Bitternis. Selbst Minni
schaute aus dem Fluß heraus.

Mittlerweile warcn die Abendstundcn genaht. Die
lärmenden Pilger waren sortgezogen, und an ihre Stelle
war ein Häuslcin ftiller Menschen gekommen; sie sanken
in das Dämmern der Kirche, wie in ihr Gebet. Stanis-
laus ffab sie in dunkeln, unerkenntlichen Umrissen in
einer Seitenhalle über ihren Stühlen liegen, und im
Scheine von Kerzen feierte ein weißgekleideter Priester
vor ihnen aus dem Altare eine Andacht.

Stanislaus allein, abseits, dem Bilde ergeben, war
voll Wahn und voll heißer Gedanken. Jn den hohen
gotischen Fenftern im Chore hinter der Heiligenftatue lag
der Abend und verglomm milde und müde in den reichen
Farben. Sein Schein umfaßte daö Bild der ewigen
Jungfrau und zagte in der Glut der schweren Edelsteine.

„Dein Goldherz!" fuhr Stanislaus plötzlich auf. Er
hatte das Herz vergeffen. Mit bebenden Fingern holte
er es aus seiner Tasche hervor und legte es auf den
hohen Stuhl vor sich. Und es war ihm, als lächelte
die Jungfrau Maria ihm hold und gütig zu.

,H), du ferne Heilige," flüsterte Stanislaus verzückt,
„du besitzest ja alles von mir. Ganz bin ich dein,
ergebcn und betend, mit Lachen und Tränen. Was war
mir jemals so schön wie du! Mein Leben war Elend
und Gram, bevor ich von dir wußte, und nun ist eine
Wolke am Himmcl; hoch und fern, flaumig und leicht
schwebt sie und fließt dir zu Füßen."

Er reckte ihr heimlich seine Hände entgegen.

„Meine große Heilige, du mußt wollen. Du mußt.
Jch selber will dir mein Herz mit den kleinen schönen
Perlen und den Saphiren im Ringlein um den Hals
hängen! Du mußt mir ein Ieichen geben, daß ich
kommen darf."

Und er wartete, daß sie ihm ein Ieichen gäbe, die
Hand hochhielte, oder den Kopf leise zu ihm herüber-
kebrte. Aber da sah er das Bild starr und blaß und
erzürnt im schwanken Licht der weichen Kerzen gerade-
aus die Hallen hinaufschauen, wo auf leichtcn verzierten
Bogen die Empore und die hohe Orgel schwebten.

„Heilige Königin, du Sulamith des Himmels, o ich
liebe dich doch. Ich will ja nur diesen kleinen Wunsch
erfüllt haben, selber das Herzlein. . ."

Aber sie hielt ihren Blick ftarr abgewandt. Jhre
rechte ausgeftreckte Hand trug unbeweglich das kleine
Zepter, und ihre linke lag tot auf ihrem hohen gotischen
Leibe. Stanislaus starrte sie an.

Drüben am Altar in der Seitenhalle begann der
Priefter ein lateinisches Gebet mit balblauter Stimme
herzusagen. StaniSlaus erschrak und schaute zage, gestört
und eifersüchtig hinüber. Aber die Orgcl rauschte plötz-
lich in die Kirche hinein, und ihre Vielklänge strebten in
die Hallen hinauf und dröhnten und seufzten und jubelten
hoch in ihren dämmrigen Ländern. Jn dem komplizierten
Reichtum der Jntroduktion schlug bald leise und sehn-
süchtig das Motiv eines Liedes an.

Stanislaus drehte sich langsam und schmerzlich um
und sah die Empore düfter im unsichern Licht schweben.
Die Kerzenlicbter flackerten erregt und geisterhaft über
die bohen weißen Pfeifen, und ein Knabengesicht stand
von ciner Lampe nahe und unheimlich hell beleuchtet
am Rand der Empore, vom Samt der Finfternis zitternd
umwogt. Eine Angft überfiel Stanislaus. Er schreckte
mit einer heftigen Bewegung zum Bilde der Jungfrau
Maria zurück und sog seine Blicke in dem bleichen
Schimmer ihres Gesichtes fest:

„Jungfrau Maria!" wollte er aufschreien, „ich liebe..."
Aber mitten in den raschen, wahren Ausbruch seiner
Gefühle sang plötzlich die helle Knabenstimme hinein, in
deren Lied sich die kunstvoll verschlungenen Orgel-Akkorde
der Jntroduktion allmählich ausgeatmet hatten. Das
Lied galt den Ehren der keuschen Gottesmutter, der
ewigen, makellosen Jungfrau, und es war voll Iauchzen
nach ibrer Schönheit und voll Frömmigkeit und mensch-
licher Glut. Die junge Knabenstimme stieg und fiel
und irrte flehend, täppisch und süß in noch ungekannter
Fraucnsehnsucht, die in der menschlichen llberirdischkeit
der göttlichen Jungfrau leise erwachte, und jubelte und
zerstieß sich den Kopf und flehte weinend und buhlte
verzückt. Jmmer wieder schwoll und rief der Refrain
snchend durch die Hallen:

„O Maria, o Mutter rein,

O laß, o laß uns deine Kinder sein!"

Und Maria die Jungfrau schaute vom Throne ihrer
Kerzenflammen bleich und süß zur Empore binauf und
war eine rufende Blume.

Stanislaus' Seele flog irr, verschüchtert, entbrannt
zwischen dem Heiligenbild und dem brünftigen Lied des
Knaben. Die Angft lag mit bronzenen Klauen auf
seincm Herzen. Er fühlte das heiße Blut niederrinnen.
Die Eifersucht jagte hinein. Er rief:

„Nein, Maria, der Knabe will dich zur Geliebten
haben, der junge heiße Leib des Knaben. Meine Sula-
mith des Himmels, reine Magd des Herrn und ich, ich
liebe dich. Du hast mir das Herz genommen mit deiner
Augen einem und deiner Halsketten einer. Du brachst
hervor in mir wie eine Morgenröte, schön wie der
Mond, auserwählet wie die Sonne, schrecklich wie die
Heeresspitzen. Ach wo ist ein Hohelied zu dir Sulamith,
Fürftentochter, deren zwo Brüste wie zwei junge Reh-
zwillinge sind, deren Leib ein Weizenhaufen mit Rosen
umsteckt. Jrr bebt mein Leben in dir und wogt und
senkt sich wie daö Meer. Wahnsinnig rufend hebt sich
das Meer in die Wolken und zerflattert vor deinen

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