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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Schäfer, Wilhelm: Am Niederrhein: Rheinfahrt
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0238

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Am Nicderrhem.

früher mcilenweit um Düsseldorf; nun kommt die In-
dustrie und baut das Vorstadt-Ziegelhaus, diescn Kasten
voller Armseligkeit zwischen zwei Brandgiebcln, auf jedes
sreie Feld. Selten und meist nur Winkel noch, wo
inan entzückt und wehmütig diesc hetle Wobnlichkeit
genießen kann. Denn weiter gegen Holland hin, wo
noch die bäucrliche Stille träumst da steht mit wohl-
gesugten Giebcln und Fassaden, holländisch schon, ein
schweres Backstcinhaus.

-»c

Das ist der Niederrhein von Kleve, Kalkar, Rees
und Geldern, auch ^anten; den selten einer aussuchst
der nicht Viehhändler oder sonst diesem schweren Baucrn-
land geschäftlich verbunden ist. Da liegen hinter breiten
Dämmen die vielgerühmten Dome von Nanten und
von Kalkar; da schläst Vergangenheift rubmvoll und
reich, den allerdicksten Scblaf; da stehen die Taseln dcs
Ioest von Kalkar bäuerlichem Volk zur Schau, das sich
an ihrem buntbewegten Lebensbild nur wenig und weniger
an ibrer wunderbaren Kunst ersreuen kann; da träumen
die reichen Schnitzaltäre von einer Zeift die in die großen
Sagen der Deutschen verläuft: denn Ranten ist die
Stadt Siegsrieds, des schönsten Heldcn deutscher Arft
der nach dem Oberrhein auszog und dort um Treu
und Glauben schmählich verratcn wurde; und in Kleve
ragt weit ins Land der Schwanenturm.

Da ist ein Platz für eine schwere Sommernacht;
wenn alle Weiten hcll im Dunst und alle Nähen im
riescn Schatten licgen. In schwarzem Baumwerk viel
versteckft steil unter unsern Füßen das unbcwegte Alt-
waster vom Rhein, dann üppigschwere Wicsen bis hin
zu einer Helligkeit am Horizonft wo aus dem Rhein
noch immer wie vor tausend Iahren die Handelszüge
ihre beste Straße haben. Hochelten drüben als Nachbar-
schildwache hier an der Grenze des neuen Deutschen
Reiches, ein spitzer Hügel, blan flimmcrnd m der hellen
Nacht. Und hinter
unS und über uns in
grauen Mauern und
durch hohe Bäume
rastelnd an dem Turm
drängt sich der Wind,
davon wir wobl das
Brausen hören, jedoch
nicht wissen, woher er
kommt, uad aucb
nichr fragen dürfen:
sonst schwimmt aus
unsichtbaren Weitcn

her der Schwan, und Lohengrin legt Glück und
Leben ab und schwindet hin in Rätseln, die wir nie-
mals lösen.

Am hellen Tage aber ist Kleve ein vielbesuchter
Badeort, holländisch sast, und sonst ein rüstiges Städt-
chen, daraus viel Margarine zum Industriebezirk hin-
unter geht. Drum sührt aus seinem Altwasser, das
Kermisdal genannt, der Spoykanal die Schiffahrt ge-
schäftig an den Rhein; und an der Schleuse steht das
Denkmal einer Heldin, das mehr durch Goethes Dich-
tung als durch Iohanna Sebus selber veranlaßt wurde:
ein sonderbarer Ungeschmack, sast gleich der Lorelei in
Marmor, die aus dem sagenhaften Fels bald aufgerichtct
worden wäre.

Doch wenn „der Damm zerreißt, das Feld erbraust":
dann wird aus dem verträumten Wiesenland am Nieder-
rhein ein großes Schlachtfeld. In seiner gelben, breitcn
Rinne wälzt sich der Strom, und stundenweit ins Land
hinein wird aller Boden eine O.uelle, daraus das Wasser
guirlt und brodelt, bis die Felder mit den Wiesen, mit
den Weidenstümpfen verschwinden, die Häuser bis an
die Dächer im Wasscr stehn und nur die Pappeln, mit
ihren Stämmen wie mit dünncn Stielen aus der glatten
Fläcbe ragend, ihre Kronen erschrocken spiegeln. Hier
aber ist die Flut kein Segenspender wie am Nil, nur
ein Verwüster, der die Felder und die Wiesen versandet,
und wenn es Winter ist und Eisgang kommt, dann
jagen seine Schollen wie gewaltige Mester und schneiden
die Pappeln ab wie dünne Ruten. Dann plätschert in
den Straßen der alten Städte die trübe gelbe Flut,
Lausbretler sühren schwankend an den Häusern hin, und
aus den Märkten und Hösen sahren Kähnc hin und
her, die Bewohner mit dem Täglichen versorgend. So
crwachen die rheinischen Nester sür cin paar Tage doch
zum Leben: wenn die Flur um ihre Mauern spült, dann
hocken sie nicht mehr verträumt in ihren Wiesen, wie
trutzige Wasterburgen stehn sie da, Brustwehren einem

mächtigen Feind; und
herrlich zu erblicken,
wenn schwere Wolken,
im Sturm dahinge-
jagt, denWasterspiegel
mit schwärzlichem Ge-
leucht crsüllen und
ihre Mauern und
Türme wie in Stahl
gespicgclt unheimlich
schwarz gepanzert
ftehen.

Wilhelm Schäfcr.

Das Nathaus in Kalkar. (Photographie aus: Clemen, Denkmälcr der Nheiuprovmz.)
 
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