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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 13.1907

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Heft 6
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Wichert, Fritz: Das Ende von unerzählten Geschichten: ein Stück Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.26231#0241

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Das Ende von unerzählten Geschichten.

und ihre Augen sind entweder voll Erftaunen oder voll
Übermut. Und ihre Rundheit ift oft ihre Tragik, man
meint, sie könnten keine Leiden haben. „Schön das!" —
„Ia, ich ftehe hier schon, ich weiß nicht wie lange!" —
„Sie sollten lieber heimgehen, es ist bitter kalt, und
für die schönen Betrachtungen gibt einem kein Mensch
etwas!" — Aber wir kamen doch nicht gleich von der
Sache los, und jeden bewegte sie mit eigen-schmerzlichen
Gedanken. Die Nacht, ach Gott, die einsame, unsäglich
einsame quälerische Nacht! Und die Unruhe, und die
flatternde Sehnsucht, die immer wieder ftromauftvärts
will, gegen die Ieit, gegen das unvermeidliche Strömen.

Dann sind wir weiter gegangen miteinander. Die
üblichen Worte wurden gewechselt: ob man schon lange
hier sei, was man denn eigentlich mache, daß eö hier
auch Schönes gäbe, auch nette Menschen, und daß man
sich gar nicht einsam zu sühlen brauche. Der Mann
war Künstler, Bildhauer, und ich habe ja auch einigeö
mit der Kunst zu tun: ich liebe sie und lasse mich von
ihr regieren. Alö wir uns trennten, bat mich der neue
Bekannte — sein Name war Hastelmann oder so ähn-
lich — ihn doch in seinem Atelier zu besuchen. — Das
kann dein Freund werden! Oder ift er es nicht schon?
War es nicht ganz deutlich zu spüren, wie unö das
Leben ein gemeinsames Bekenntnis aufgezwungen hatte?
Und seine Seele — mußte sie nicht der meinigen ganz
ähnlich sein? Schien es nicht, als hätten sie dieselben
sormenden Schläge getroffen?

Man weiß eö nicht, aber es ift doch so. Oft kommt
irgend etwas dazwischen. Es ist nicht möglich, daß die
Probe gemacht wird, daß man die Freundschaft Aus-
druck gewinnen läßt. Schließlich verliert man sich ganz.
Was aber bleibt? Ein ganz unwandelbares Gefühl.
Das sagt: ,/)b ich es erlebt habe oder nicht; dieser eine,
dem ich da oder dort die Hand einmal gereicht habe,
gehört zu mir. Er gehört in meine Einsamkeit, wir
bilden eine Gemeinde!" - Ohne einen solchen Bund wäre
das Leben nicht möglich. Man könnte nicht atmen, wie
man in einem luftlosen Raum nicht atmen kann.

Das Atelier lag in einem alten Ordenshaus. Als
ich hinging, war es wieder bitter kalt. Aber was macht
Kälte, wenn es in uns lodert, Wünsche, Ziele auf-
slammen zu jeder Stunde, wenn keiner unö begegnen
kann, ohne zu merken: da ift Bewegung, Leben in diesem
Menschen, man spürts durch seinen Blick, durch seine
Hände hindurch. Und ich? Ich hatte gewartet, bis die
Troftlosigkeit in meinem Dasein am höchften geftiegen
war, um diesen Gang zu machen.

An diesem Ort, in dieser Stadt, schien mein Leben
ewig ohne Nahrung bleiben zu sollen. Kein Eindruck
wollte mehr haften, alle Liebe war in der Vergangen-
heit, alles hing an jenen andern Bildern und an . ..
ach ... es ist keine Geschichte wert, es trifft gar zu viele.

Ich ging wie ein Erloschener ohne Willen, ging nur
aus jener Gewohnheit heraus, mit der abgegebene
Versprechen uns manchmal halb unbewußt in Bewegung
zu versetzen vermögen. Weil aber aus meinem Innern
diese Todeskälte kam, der Winterkälte begegnend, die von
außen auf mich eindrang, erstarrte ich langsam am ganzen
Körper. Mein Willen, meine Gedanken, meine Wünsche
lagen regungslos. Es war mein schlimmster Tag!

Ich kam durch einen Torbogen in Hallengänge, aus
einem kreuzgangartigen Hof in einen zweiten. Eine
alte gotische Kirche mit hohen Wänden ragt in diesen
hinein. Es ift ein wundervoller Überreft von jener
selbstverständlichen Künstlerschaft, wie sie nur bei An-
lagen vergangener Zeiten zu finden ist. Und ich sah
nichts von alledem, bis ich meiner Brückenbekanntschaft
in einem ganz wunderlichen Raume gegenüberstand.

Eine von jenen Behausungen, die eine Lebensgeschichte
erzählen. Es läßt sich nicht sagen, was da alles herum-
ftand. Lustige Kunstkumpane haben Verse auf dies
Raritätenkabinett gemacht, deffen wunderliche Buntheit
die Treue ihres Urhebers auch in ihren kleinsten Re-
gungen verrät. Alles sollte bei ihm bleiben. Womit
er sich je besaßt, weffen Dasein er je genoffen, er hätte
es nicht gehen heißen können. Man wirft sich selbft
mit seinen Sachen fort. Es wäre schad um dies und
schad um daö!

Das Schönste an dem Raum war aber doch die
tiefe Stille. Man spürte die Dicke der Mauern! Die
Einsamkeit der Höfe und Hallen, die man durchschritten
hatte, wirkte nach. Man wußte: hier bin ich im Kern
eines auf Stille und Abgewandtheit bedachten Teiles
der Welt, im innerften Kern.

„Sie sind gut eingemauert, wahrhaftig!" Warum
konnte ich ihn nicht freundlicher begrüßen, wo alles um
ihn herum tiefes, atmendes Leben war. Er aber bot
die Hand und lächelte: „Ia nicht wahr, man weiß
kaum noch, daß man auf der Welt ist, manchmal ver-
gißt mans ganz; aber schön, daß Sie kommen!" Dann
zeigte er mir seine Sachen. Es war nicht allzuviel.
Ein paar Plaketten, ein paar Bronzefigürchen, Photo-
graphien von Steinarbeiten, die er hier oder dort in
der Stadt in Auftrag bekommen hatte. Alles von
echter Künstlerschaft. Die Formen warm, von innen
herauö gestaltet; und wie sich seine Gestalten bewegten,
wie sie sich hielten, das hatte einen gespannten durch
Ernst und Lebensschwere geprägten Ausdruck. Was
mochte ihm begegnet sein? - Diese Art von Kunst —
sie ist die Arbeit des Schicksalö, daö Künstlerherz nur
Werkzeug.

Ich saß auf einem alten, schauderhaften Ruhebett
und hielt mich mit Mühe aufrecht. Das merkte er
wohl, und dann benahm er sich wie ein gutherziges
Kind, das nicht will, daß seine Mutter traurig ist, und
das nun nacheinander alle seine Spielsachen vor ihr
auffahren läßt. Erst zeigte er mir drei kleine Vögel.
Ich hatte das spröde Ticken ihrer Schnäbel und kleinen
Krallen schon vorher bemerkt. — „Da, ein amerikanischer
Fink, wie blau der ift! Aber singen kann er nicht!"
Nach dem Amerikaner kam ein Distelfink. Den nahm
er in seine dicken Finger, ohne ihn auch nur aufzuregen.
Nach dem Distelfink ein Kanarienvogel. Kein schöner
Kanarienvogel, gewiß nicht, aber „ein netter Kerl". —
„Da ist mein Aquarium! Wie es da drin aussieht, der
reinste Märchenwald! Wenn man sich etwas Kleines
recht, recht groß denkt, ists fast immer schön! Und die
Fische da sind noch ganz jung; wenn sie größer werden
tu ich sie rauö. Sie sressen sich auch auf gegenseitig/
Nach dem Aquarium brachte er ein Glas mit Spiritus,
in dem ein paar bleiche Formen herumschwammen. Es

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